Heinz Klinger hat seinen Salon an David Pflüger (im Spiegel) übergeben. Foto: Kathrin Wesely

Fotos aus der japanischen Metropole von einst und heute sind derzeit im Salon von Heinz Klinger ausgestellt und liefern Stoff zum Plauschen.

S-Süd - A us Heslach konnte keiner zur Olympiade nach Tokio. „Aber wie wäre es, wenn Tokio nach Heslach käme?“, überlegte der Architekt und Stadtplaner Jörg Esefeld und beschloss: Da rede ich doch mal mit meinem Frisör! Für Frisörmeister Heinz Klinger war das kein abwegiges Ansinnen: Seit 30 Jahren schon organisiert er in seinem weitläufigen Salon an der Böblinger Straße Kunstausstellungen. Er hat dafür eigens eine Kommission berufen, die aus Kunstsachverständigen aus dem Museums- und Universitätsbereich besteht. „Was ich ausstelle, sollte Qualität haben. Aber ich selber bin nicht vom Fach“, erklärt Klinger. Nun also Tokio. Die Ausstellung stellt Fotos aus den 1950er Jahren von Martha Villinger aktuellen Aufnahmen von Naomi Hanakata gegenüber. Es ist nicht bloß ein Kontrast von Schwarz-Weiß und Knallbunt: Welten trennen diese Jahrzehnte. Mitte des 20. Jahrhunderts stand Japan noch unter dem Trauma eines kurz zuvor verlorenen Krieges, das Kaiserhaus und Traditionen prägten das Leben der Menschen und das Antlitz der Städte.

Wer sich nun bei Heinz Klinger im Frisiersessel zurücklehnt, der blickt auf genau diese unterschiedlichen Welten. Die Fotos sind auf Holzbrettchen aufgezogen und liefern Stichworte zum Plausch, der sich bekanntlicherweise beim Friseur um Gott und die Welt drehen kann. „Ein Kunde hat erzählt, dass seine Töchter gerade dort sind, ein anderer, dass er bis zu seinem zwölften Lebensjahr in Tokio gelebt hat“, berichtet Heinz Klinger.

Fotos zeigen Zeitensprünge

Die Tokio-Bilder sind Teil eines größeren Buchprojektes über Metropolen der Welt. So sind in der Edition Esefeld & Traub bereits Stadt-Lesebücher über New York, Sao Paolo, Kairo, Istanbul und Aleppo erschienen. Das Konzept der Gegenüberstellung Vergangenheit und Gegenwart wurde bislang aber sonst nur für Aleppo angewandt, erklärt Jörg Esefeld. Es sei glückliche Fügung gewesen, dass man auf ein Privatarchiv mit Fotos aus der Wende zum 20. Jahrhundert gestoßen sei. „Aber während bei Tokio der Zeitsprung ganz erstaunlich ist, sind die Unterschiede zwischen dem alten Aleppo und dem jetzigen Aleppo gering. Die Kleidung der Menschen und die Straßen sehen sehr ähnlich aus.“ Entstanden sind die jüngeren Aleppo-Fotos in den Jahren kurz vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Zum Konzept aller Stadt-Lesebücher gehört, dass die Fotos ins Netz gestellt und ein Aufruf an mögliche Autoren gestartet wird: Wer einen Bezug hat zur jeweiligen Metropole, dort längere Zeit gelebt und etwas zu erzählen hat, sucht sich eines der Fotos aus und schreibt seinen Artikel dazu. Ein diverses, abwechslungsreiches Textkompendium entsteht auf diese Weise. Im zur Ausstellung gehörenden Tokio-Buch sind auch Texte von Prominenten versammelt – etwa von Schriftsteller Péter Esterházy, von Filmemacherin Doris Dörrie oder von Musiker John Zorn, der berichtet, warum er in den 90er  Jahren seinen  Soloauftritt in einem Tokioter Kaufhaus schwänzte.

Auftritt geschwänzt

Die Ausstellung soll noch den Herbst über hängen. Und das, obwohl Klinger seinen Laden inzwischen an David Pflüger verkauft hat. Da aber Klinger auch mit 74 Jahren Kamm und Schere noch nicht aus der Hand legen will, arbeitet er nun reduziert und als Angestellter in seinem einstigen Salon. Er sagt, er ist zufrieden mit seinem Chef. Und Pflüger sagt, dass er seinerseits froh ist über den erfahrenen Mitarbeiter. Immerhin hat Pflüger mal seine Ausbildung bei ihm genossen. Klingers Ausstellungstradition im Salon will er übrigens fortsetzen.

www.edition-et.de/images/mytyo.pdf

https://www.stuttgarter-zeitung.de/stuttgart/sued -