Während des Prozesses trafen am Amtsgericht Waiblingen zum ersten Mal seit Langem wieder alle aus der Familie aufeinander – es flossen Tränen. Foto: Gottfried / Stoppel

Hat ein Angeklagter seine Frau zum Geschlechtsverkehr gezwungen? Es ist ein schwerer Falls fürs Amtsgericht. Denn die betroffene Ehefrau verweigert die Aussage. Und ein Video hilft nur bedingt weiter.

Waiblingen - Es war ein kniffliger Fall für Richter Michael Kirbach und die beiden Schöffen. Denn die 31-jährige betroffene Ehefrau machte am Amtsgericht Waiblingen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Es seien zu viele Menschen im Gerichtssaal, als dass sie noch einmal über alles sprechen könne, ließ sie durch Maike Pirkner ausrichten, die ihr juristisch beistand.

Deshalb musste sich die Kammer mit dem Video einer richterlichen Vernehmung behelfen. Dieses Video warf allerdings mehr Fragen auf, als es beantworten konnte. Denn die Aussage enthielt viele Widersprüche. Die Glaubwürdigkeit der Zeugin konnte die Kammer deshalb aus eigener Anschauung nicht beurteilen.

Das Opfer bleibt vage

Laut Anklage soll ein 36-jähriger Mann seine Frau im vergangenen Jahr zweimal vergewaltigt haben, während ein Sohn im Bett schlief. Deshalb habe sie sich nicht gewehrt, so die Frau. In der Video-Vernehmung sprach die Frau davon, dass ihr Mann sie auch geschlagen und bedroht habe. Einmal habe er gesagt, dass er froh wäre, wenn sie stürbe. Sie habe sich irgendwann nur noch die Trennung gewünscht. Laut Kamiar Ehsani, dem Verteidiger des Angeklagten, läuft inzwischen die Scheidung.

Die Schilderung der Taten bleibt vage

Allerdings schilderte die 31-jährige in ihrer Videovernehmung die alltäglichen Streitigkeiten und Auseinandersetzungen weitaus detaillierter als die beiden Taten, um die es in dem Prozess eigentlich ging. Er habe sich genommen, was er wollte, sagte sie. Er habe ihr die Hose heruntergezogen. Er habe „seine Sache erledigt“.

Der Angeklagte tat sich zwar ebenfalls schwer damit, sein Privatleben zu schildern, beantwortete die Fragen des Richters aber bereitwilliger. Er bestritt die Vorwürfe. Sie seien beide in Farah, einer ländlichen Gegend in Afghanistan aufgewachsen. Er habe acht Geschwister und nie eine Schule besucht. Schreiben habe er erst in einem Sprachkurs in Deutschland gelernt. Seine Eltern besaßen einen Hof, auf dem er mitarbeitete. Sie arrangierten auch die Ehe. Zunächst habe er mit seiner Frau auf dem Hof der Eltern gelebt. Drei der fünf Kinder kamen in Afghanistan zur Welt. „Wir haben dort ein sehr gutes Leben gehabt“, sagt er.

Die Kinder leiden am meisten

Später, als die Probleme im Land begonnen hätten, seien sie über die Türkei und Griechenland nach Deutschland geflüchtet. Die ehelichen Probleme hätten erst angefangen, als seine Frau 2020 auf Tiktok einen anderen Mann kennengelernt habe. Der habe ihr geraten, ihn zu beschuldigen – um sich aus der Ehe befreien zu können. Die zwei ältesten Töchter leben beim Angeklagten, die drei kleineren Kinder bei seiner Frau.

Seine Frau habe ihn im vergangenen Jahr zunehmend ignoriert. Erst habe er das für seine Schuld gehalten. Im April schnitt er sich die Pulsadern auf und verbrachte drei Wochen in der Psychiatrie. Am Abend des Zuckerfestes, an dem sich die zweite Vergewaltigung ereignet haben soll, hätten sie beide Nachbarn besucht. Tatsächlich habe er die Nacht bei ihr verbracht – aber nicht gegen ihren Willen: „Sie wollte das. Wir haben an diesem Abend viel Freude gehabt“, sagt er. Als seine Frau in den Zeugenausstand gerufen wurde, begann er zu weinen.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Opfer und Täter waren gemeinsam in Quarantäne

Am Ende blieben zu viele Widersprüche, und zu wenig „Anhaltspunkte“ für konkrete Taten, wie Staatsanwalt Thomas Wullrich sagte. Er beantragte deshalb einen Freispruch für den Angeklagten. Dem folgte das Schöffengericht – auch wenn es nicht alle Vorwürfe der Frau für „aus der Luft gegriffen hielt“, wie Richter Michael Kirbach sagte.