Wegen fahrlässiger Tötung steht eine Frau vor Gericht, die mit dem Auto ein Kind erfasste. Ein Gutachter und ein Polizist bezweifeln, dass sie den Unfall hätte verhindern können.
Stuttgart - Zwei Jahre und sieben Monate wurde das kleine Mädchen alt. Am 15. Dezember 2017 starb das Kind bei einem Unfall. Ein Porsche Cayenne erfasste es beim Ausparken. Es starb vor den Augen seines Großvaters und seines Bruders.
Wäre der Unfall vermeidbar gewesen – hat die Autofahrerin einen Fehler gemacht? Das soll nun ein Verfahren gegen die 45-jährige Stuttgarterin klären, die am Steuer saß. Die Staatsanwaltschaft klagte sie der fahrlässigen Tötung an. Sie hatte mit ihrem Wagen rückwärts aus dem engen Parkplatz des Tennisclubs Doggenburg an der Rudolf-Steiner-Straße herausfahren wollen. Der Großvater stand seinen eigenen Angaben zufolge zu diesem Zeitpunkt neben dem Auto und drehte sich nach dem Enkelsohn um. Das Mädchen sei „weitergetippelt“. Die Enkelin lief hinter das Auto, wurde beim Anfahren umgestoßen, der linke Hinterreifen stieß gegen ihren Kopf. Der Großvater barg das Kind nach dem Unfall. Mit dem toten Mädchen im Arm wartete er auf Polizei und Rettungskräfte, die nichts mehr tun konnten.
Bei ihrer Aussage ringt die Angeklagte um Fassung
Die Porsche-Fahrerin musste bei ihrer Vernehmung gegen ihre Tränen kämpfen. Dann schaffte sie es – immer um Fassung ringend –, eine vorbereitete Erklärung vorzutragen. „Vorab ist es mir das Wichtigste, der Familie mein tiefst empfundenes Mitgefühl auszudrücken“, begann sie. Die Folgen des Unfalls für sie seien nichts im Verhältnis zu dem, was die Familie des Mädchens durchmache. In der Tennishalle sprach die Autofahrerin noch mit dem Opa und seinen Enkelkindern. Auf dem Parkplatz habe sie die drei gesehen. „Ich wähnte die Kinder in der sicheren Obhut des Opas“, sagte sie. Und: „Ich habe vorsichtig und umsichtig zurückgesetzt.“ Sie hatte schon einmal angesetzt zum Ausfahren. „Ich musste wieder rein, weil mir so viele Autos auf dem Rudolf-Steiner-Weg entgegenkamen.“ Es war Mittagszeit, Schulschluss in der nahen Waldorfschule, wo an diesem Tag wegen einer Veranstaltung auch noch etliche Eltern waren – ein „Gewusel“, wie die Tennispartnerin der Angeklagten es beschrieb. Beim zweiten Ausfahren war das Mädchen hinter dem Porsche und wurde erfasst. Seit jenem Tag hat der Tennisclub den Parkplatz abgesperrt – erst mit einem Flatterband, inzwischen mit Pollern.
Die Polizei schaltete gleich am Unfalltag einen Gutachter ein. Seine Einschätzung soll helfen zu klären, ob die Frau den Unfall hätte vermeiden können. Sein Fazit: Sie habe, wenn sie den Steiner-Weg in beide Fahrtrichtungen beobachten wollte, nicht ständig alle Bereiche rund ums Auto im Blick haben können. Zudem habe sie das etwa einen Meter große Mädchen nicht an allen Stellen rund ums Auto sehen können. Die Hilfe eines „geeigneten Einweisers“ hätte nur dann etwas gebracht, wenn dieser alle Bereiche hätte einsehen können. Aber ob ein Stoppsignal schnell genug gewesen wäre, da die berechnete Fahrzeit nur 1,5 bis zwei Sekunden betrug, bei einem Tempo von fünf Stundenkilometern, sei nicht klar. Die Spuren ergaben, dass die Frau sofort stoppte, als der Reifen gegen das Kind stieß.
Der Großvater barg das Mädchen nach dem Unfall
Der Großvater, der als Zeuge geladen war, erlebte das anders. „Plötzlich und richtig mit Schwung“ sei die damals 44-jährige Frau losgefahren. Dann habe er den Aufprall gehört, als das Mädchen erfasst wurde. „Ein Geräusch, das ich nie mehr in meinem Leben vergessen werde“, sagt der 76-Jährige. Die Enkelin sei „sehr weit für ihr Alter“ gewesen und wäre nicht einfach so weggelaufen. Im Moment des Unfalls hatte er sich umgedreht zum großen Bruder, der hinter dem Großvater ging. Er habe ein Motorengeräusch gehört, weiter weg auf dem Parkplatz, nicht den Motor des Porsche. Deswegen wollte er den Buben rufen und beide Kinder an die Hand nehmen. Das Mädchen machte offenbar in diesem Augenblick die fatalen Schritte bis hinter den Cayenne. Als der Großvater sagte: „Es ist mir ein Rätsel, wie man so blind und so rasant da lospreschen konnte“, kann die Angeklagte nicht mehr. Sie bricht in Tränen aus. Ein Verfahren gegen den Opa wegen der verletzten Aufsichtspflicht wurde eingestellt. Als der Verteidiger der Autofahrerin im Prozess nun anregte, das auch für seine Mandantin zu erwägen, die unter den Folgen des Unfalls leide, lehnte der Staatsanwalt das ganz klar ab.
„Im Straßenverkehr gehört ein zweijähriges Kind an die Hand“, sagte ein 57-jähriger Verkehrspolizist als Zeuge. Die Frage nach der Vermeidbarkeit beantwortet er eindeutig: „Bei all meiner Erfahrung als Polizist: Mir wäre der Unfall unter diesen Umständen auch passiert.“
Das Verfahren wird am Montag, 8. April, am Stuttgarter Amtsgericht fortgesetzt.