Die Bundespolizei veröffentlichte eine Aufnahme vom vollen Bahnsteig zur Zeit des Übergriffs an der Haltestelle Schwabstraße. Foto: Bundespolizei

Ein Mann vermutete an zwei Haltestellen, jemand sei seinem Hund zu nahe gekommen. Er schlug zu – und niemand schritt ein. Das Amtsgericht hat sich am Mittwoch mit dem aufsehenerregenden Fall befasst.

Stuttgart - Der Angriff ist für das Opfer völlig unvermittelt gekommen: Ein Student aus Dortmund wurde im Mai 2016 an der S-Bahn-Haltestelle Schwabstraße von einem damals 27-Jährigen aus Bietigheim-Bissingen niedergeschlagen und ins Gesicht getreten. Es sei für ihn immer noch ein Rätsel, warum er attackiert worden sei, sagte das 28-jährige Opfer nun beim Prozess vor dem Stuttgarter Amtsgericht. Er erinnere sich, dass ihn der Angeklagte angesprochen habe. Was der Fremde wollte, habe er aber nicht verstanden. Als er sich zurückziehen wollte, kam die Attacke.

14 Monate später nannte der Mann, der damals zuschlug, sein Handeln „völlig unverhältnismäßig“. Er räumte die Vorwürfe ein. Für diesen Angriff und für eine zwei Tage zuvor begangene ähnliche Tat verurteilte ihn das Amtsgericht am Mittwoch zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten zur Bewährung. Ein Psychiater hatte den Mann als vermindert schuldfähig eingestuft.

Der Angeklagte wollte seinen Hund verteidigen

Der Fall hatte im vergangenen Jahr für großes Aufsehen in der Stadt gesorgt. Mitten auf dem vollen Bahnsteig der Haltestelle Schwabstraße hatte sich der Angriff auf den Dortmunder abgespielt. Der Angeklagte hatte den Eindruck, der 28-Jährige hätte auf der Rolltreppe seinen Hund weggedrängt – daher wollte er ihn zur Rede stellen und schlug auch deswegen zu. Kein Passant schritt ein, was auch die ermittelnden Beamten der Bundespolizei schockierte.

Eine Frau hatte sich zwei Tage zuvor an der Stadtbahnhaltestelle Bibliothek eingemischt, als sie eine ähnlich Auseinandersetzung beobachtete. „Ich hörte nur, dass es um einen Hund ging und um Dreck an den Schuhen, als der Mann dem anderen folgte. Da hab ich gesagt, sie sollen sich beruhigen – dem Hund geht es gut und die Schuhe kann man putzen“, schilderte sie vor Gericht. Der Angreifer hörte nicht auf sie und schlug auf den 39-jährigen Elektriker ein, den er beschuldigte, in der rappelvollen Stadtbahn seinen kleinen Hund getreten zu haben. Die Zeugin kann es heute noch nicht fassen, dass sie zunächst als einzige dazwischenging. Ein Mann eilte ihr zur Hilfe und wurde vom Begleiter des Angeklagten niedergeschlagen. Der Freund muss deswegen eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen à zehn Euro bezahlen und gemeinnützige Arbeit leisten.

Psychiater spricht von emotional instabiler Persönlichkeitsstörung

Der Hauptangeklagte ließ aus Sicht des Psychiaters auch im Verfahren mehrfach durchblicken, was sein Problem sei: Er könne sich, wenn er richtig wütend sei, manchmal nicht mehr beherrschen. Das nahmen auch die Richterin und die Staatsanwältin wahr, die ihn mehrfach wegen seines Verhaltens ermahnten. Der Arzt sprach von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung: „Einmal aufgebracht, kann er seine Handlungsimpulse nur schwer kontrollieren.“ Eine Rolle hätten auch die Rauschmittel gespielt: Der Angeklagte ist Methadonpatient. Er bekommt den Ersatzstoff, weil er seit mehr als zehn Jahren heroinabhängig ist. Außerdem habe er zur Tatzeit eine große Menge eines angstlösenden Mittels im Blut gehabt. „Ohne Rauschmittel wäre es wohl nicht dazu gekommen.“ Das Gericht machte dem Verurteilten die Auflage, binnen eines halben Jahres nachzuweisen, dass er sich um eine Therapie bemüht.