Der Angeklagte soll ein Mädchen im Schritt gestreichelt haben. Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Um das zwölfjährige Opfer so wenig wie möglich zu belasten und wegen widersprüchlicher Angaben, legte das Amtsgericht Esslingen das Verfahren gegen einen 51-Jährigen zu den Akten. Er soll das Kind sexuell missbraucht haben.

Esslingen - Am Amtsgericht Esslingen ist am Dienstag ein Verfahren gegen einen 51-jährigen Mann unter Geldauflage eingestellt worden. Dem Esslinger wurde vorgeworfen, vergangenes Jahr ein damals elfjähriges Mädchen sexuell missbraucht zu haben. Die Verhandlung zeigte eindrücklich, mit welchen Schwierigkeiten die Justiz tagtäglich umgehen muss. Denn die Aussagen der Geschädigten warfen einige Zweifel auf.

In der Nacht vom 19. auf den 20. Juni 2019 übernachtete das mutmaßliche Opfer mit seiner Mutter und seinem älteren Bruder in der Esslinger Wohnung des Angeklagten. Der ist selbst Vater zweier Kinder, verheiratet, Kfz-Mechaniker. Er kenne die Mutter des Mädchens schon länger, habe ihr sogar mal das Auto kostenlos repariert. In dieser Nacht waren Gäste und Familie verteilt auf die drei Zimmer der Wohnung. Was dann passierte, wird vermutlich niemals geklärt werden. Laut Anklageschrift kam der Mann in den Raum, in dem das 2008 geborene Mädchen schlief und streichelte sie etwa fünf Sekunden lang im Genitalbereich. Sie habe dabei eine Schlafanzughose getragen.

Die andere Version der Geschichte lieferte der Angeklagte: Er sei aufgewacht, weil er auf die Toilette musste. Das komme hin und wieder vor, er schaue dann immer im Zimmer seiner Kinder nach, ob alles in Ordnung sei. Das habe er auch in der Nacht auf den 20. Juni 2019 getan und gesehen, dass die Decke des Mädchens verdreht zwischen den Beinen lag. Er habe nur nach der Decke gegriffen und die heute Zwölfjährige zugedeckt, „ohne irgendwelche Hintergedanken.“ Das Mädchen habe zu dem Zeitpunkt geschlafen. „Tut mir Leid, wenn ich damit eine Grenze überschritten habe“, sagte der 51-Jährige, „das ist ein fremdes Mädchen.“

Direkt nach der Erklärung des Angeklagten dachte das Gericht über eine Einstellung des Verfahrens nach. Der Grund liegt in einer Formsache und in widersprüchlichen Angaben des Opfers. Laut den Ermittlern hat der Mann das Kind am Po berührt. Das Mädchen hatte bei der Polizei aber ausgesagt, sie sei im Lendenbereich angefasst worden. Dann sei es der Bauch, nach zweiter und dritter Nachfrage der Schritt gewesen. „Aus meiner Sicht sind das sehr verschiedene Stellen“, sagte der Richter.

Die Vernehmung des Kindes kurz nach dem Vorfall ist damals von der Polizei aufgezeichnet worden. Darin liegt das nächste Problem, denn es handelt sich nicht um ein richterliches Video. Es wäre von der Verteidigung als Beweismittel höchst wahrscheinlich abgelehnt worden. Die Konsequenz: Das Verfahren müsste komplett durchverhandelt und Zeugen angehört werden. Die heute Zwölfjährige hätte vor dem ganzen Gericht aussagen müssen, ein belastender Akt für einen jungen Menschen. Außerdem liegt der Vorfall schon über ein Jahr zurück. Laut Richter ist dabei nicht klar, inwiefern Erwachsene in der Zwischenzeit das Kind beeinflusst haben. „Der Vorwurf ist nach Aktenlage ambivalent.“ Außerdem stellte das Gericht in Frage, ob ein Prozess jemandem weiterhelfe. Es gehe auch um den Gedanken des Opferschutzes, das Mädchen also so wenig wie möglich zu belasten. Zumal der Tatvorwurf an der unteren Kante zum Verbrechen stehe.

Der Richter und die Vertretung der Staatsanwaltschaft schlugen deshalb eine Einstellung des Verfahrens mit einer Auflage von 750 Euro vor. Das bedeutet: Der Angeklagte ist weder freigesprochen noch verurteilt. Die Nebenklage zeigte sich einverstanden. „Uns ist wichtig, dass er spürt, dass er etwas Falsches gemacht hat.“ Auch der Angeklagte stimmte dem zu.