Die Richterin sprach bei der Strafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird, von einer engen Entscheidung. Foto: dpa

Ein 50 Jahre alter Exhibitionist kommt noch einmal um eine Gefängnisstrafe herum – aber nur, wenn er sich drei Jahre lang nichts zu Schulden kommen lässt.

Böblingen - Seine Hände hat er auf die Beine gelegt, mit denen er unruhig wippt. Gespannt verfolgt der Angeklagte die Verhandlung am Amtsgericht Böblingen. Ständig möchte er etwas beitragen, am liebsten der Vorsitzenden Richterin ins Wort fallen. Manchmal streckt er den Finger, wie ein artiger Schüler. Von Anfang Dezember 2015 bis Ende Februar 2016 hat der 50-Jährige jedoch insgesamt 30 Mal vor Kindern eine unsittliche Handlung begangen, in dem er sich entblößte. So die Anklage. Das Urteil: Eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, die drei Jahre lang zur Bewährung ausgesetzt wird. Zudem muss der Mann eine Geldstrafe von tausend Euro zahlen, als Schmerzensgeld für sein sein Hauptopfer, ein inzwischen zehn Jahre altes Mädchen.

Wegen Schizophrenie in Behandlung gewesen

„Wenn Sie auch nur ein Mal straffällig werden, wenn Sie noch einmal so etwa machen, müssen Sie ins Gefängnis“, redete die Vorsitzende Richterin Lea Werle dem Angeklagten ins Gewissen. Die Psychiatrische Gutachterin hatte dem Mann vor Gericht krankhaft seelische Störungen bescheinigt. Wegen Schizophrenie war er schon 16-mal behandelt worden. „Seine Steuerungsfähigkeit ist erheblich eingeschränkt“, sagte die Expertin. Der 50-Jährige nehme Psychopharmaka in mittleren bis hohen Dosen. Allerdings sei er sich über das Unrecht bewusst, das er begangen habe.

Die Vorkommnisse bezeichnete der Angeklagte als „Zufall“. Er habe seine Wohnungstür geöffnet, um zu lüften, als ihm die Kinder begegneten. In zehn der 30 Fälle, in denen er seine Hose herunterließ, waren außer der Siebenjährigen auch ältere Kinder im Hausflur. Das Mädchen, das mit seiner Familie gegenüber der Wohnung des Exhibitionisten lebt, habe später Angst gehabt, den Flur zu betreten, sagte eine Polizistin, die mit den Kindern sprach.

Seit mehr als 20 Jahren erwerbsunfähig

Der alleinstehende 50-jährige Mann hat selbst keine Kinder. Er räumte das Geschehene in vollem Umfang ein. Was er sich dabei gedacht habe, wollte die Richterin wissen. Eine Antwort blieb er schuldig. „Er leidet heute noch immer darunter, dass er sich schuldig gemacht hat“, erklärte der Verteidiger des Beschuldigten.

Mit 18 Jahren habe er sich „Sachen eingebildet“, berichtete der Angeklagte. Nach dem Hauptschulabschluss machte er eine Malerlehrer, die er nach zwei Jahren unterbrach. „Die Gesellen in der Firma waren ihm zu rüde“, berichtete die Gutachterin von einem sensiblen, offenbar leicht verletzlichen Mann. Nach einer etwa einjährigen Unterbrechung beendete er die Lehre in einem anderen Unternehmen, in dem er noch eine Weile arbeitete. Im Jahr 1997 wurde er erwerbsunfähig und erhielt Rente.

Die Ehefrau ging fremd

Zurzeit habe er 800 Euro brutto im Monat, erklärte der Bruder des Angeklagten, der ebenfalls im Gerichtssaal saß und den 50-Jährigen „in allen Dingen im Alltag unterstützt und vertritt“, ließ die Gutachterin wissen. Nachdem die Eltern gestorben waren, haben die Kinder – der Vater war Lehrer – eine Erbschaft erhalten. 80 000 Euro bekam der 50-Jährige. Das Geld gehe jedoch allmählich zur Neige, sagte dessen Bruder. Schließlich seien 400 Euro Miete monatlich zu bezahlen.

In seinem Verhalten sei der Angeklagte „sozial verarmt“. Hobbys habe er so gut wie keine. Er koche aber gern und gehe einkaufen. Manchmal sei er mit seinem E-Bike unterwegs . Als er 35 Jahre alt war, hatte er eine Freundin. Mit 40 heiratete er. Seine Ehefrau bekam ein Kind. Die Ehe ging zu Bruch, „weil seine Frau fremd ging“, berichtete die Gutachterin. Dem 50-Jährigen fehle sicher eine Partnerin.

Der Mann muss sich einer Sexualtherapie unterziehen

Bei ihm liege aber keine Pädophilie vor. Die Gutachterin sprach von einer „günstigen Sozialprognose“, wenn er sich einer Sexualtherapie unterziehe. Der Angeklagte willigte ein. Weil er zudem nicht vorbestraft ist und sich sehr kooperativ zeigte, ließ die Richterin quasi Gnade walten, „dadurch haben sie den Kindern eine Aussage vor Gericht erspart“, sagte Lea Werle. Außerdem dürfe sich der Angeklagte nun zweieinhalb Jahre lang nichts mehr zu Schulden kommen lassen. Normalerweise gebe es für ein solches Vergehen eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, bei verminderter Schuldfähigkeit drei Jahre und neun Monate, ebenfalls ohne Bewährung, erklärte der Staatsanwalt, der dasselbe Strafmaß wie die Richterin für angemessen hielt. „Es war eine knappe Entscheidung – sie ist mir nicht leicht gefallen“, sagte Lea Werle.