Unendliche Weiten: Wenn die Sonne an der winterlichen Nordsee durchbricht, gleißen Wasser und Dünen wie geschmolzenes Silber. Foto: Oliver Abraham

Im Winter zeigt sich die Insel Amrum romantisch Bei Wind und Wetter am Strand spazieren.

Nieselregen liegt über der Nordsee wie ein nasses Tuch. Kalt und klamm. Feuchter Sand verschluckt die Fußspuren. Auf dem Weg von den Dünen zum Meer ist es merkwürdig still. Kein Vogelschrei, kein Brandungsrauschen. Fast gespenstisch. Der Sturm der vergangenen Tage hat das Wasser tief auf das Vorland getrieben. Kurz bricht die Sonne durch, und das Wasser gleißt wie geschmolzenes Silber.

Der Wanderer einsam, der Weg endlos. Das Meer hat Baumstämme auf den Strand geworfen. Geäst liegt nach dem schweren Wetter der vergangenen Tage herum und Tauwerk, Bretter, Tonnen und allerhand anderes. Einst fanden die Amrumer zwischen all dem Strandgut, das sie damals begehrlich suchten, manch toten Seemann – sie bestatteten die Namenlosen auf einem eigenen Friedhof unterhalb der Windmühle. Wer aber Rang und Namen hatte, für den schufen die Hinterbliebenen einen Friedhof, der heute wohl zu den ungewöhnlichsten in ganz Deutschland gehört. Besonders groß ist er nicht. Er liegt neben St. Clemens in dem Dorf, das Nebel heißt.

Linker Hand verschluckt aufkommender Nebel das Meer. Der Wanderer wendet sich ab, quert ostwärts die immense Sandmasse. Zurück, denn bei Nebel unbedingt an der Dünenkante bleiben. Und immer aufpassen, dass niemals Wasser den sicheren Rückweg abschneidet. Die Heide hinter den Dünen ist nass vom Nieselregen. Auch hier herrscht sie wieder, diese eigentümliche, gespenstische Nebelstille. Bald verschwindet der Weg im Wald, von den Ästen tropft es still. Am Dorfrand liegen nasse, sumpfige Wiesen, mit Reet gedeckte Häuser ducken sich unter den trüben Himmel. Dort also liegt Nebel im Nebel. Und der Friedhof, auf dem die mit Rang nicht nur Namen hatten, sondern gleich ihre ganze Lebensgeschichte für die Ewigkeit.

Amrum ist eine karge Insel. Wer was werden wollte, zog fort. Oder fuhr zur See. Denn davon berichten Amrums "sprechende Steine". Manche der Sandstein-Grabmäler sind zwei Meter hoch und fast eine Tonne schwer. Das Umherstreifen auf diesem Friedhof ist faszinierend, denn auf den Stelen stehen nicht nur Namen, sondern Lebensgeschichten. Und schnell wird klar: So mancher, der fortzog und aus seinem Leben was Besseres machen wollte, hat es auch geschafft und kam zu Reichtum. Denn diese Steine – das Material wurde aus dem Weserbergland herbeigeschafft – sind aufwendig verziert. Ihre Anfertigung musste damals ein kleines Vermögen gekostet haben. Und die Steine erzählen auch, wer und was ihre Auftraggeber waren. Mit ein wenig Mühe und Zeit kann sich der Besucher ihre Geschichte auch nach 400 Jahren noch von den "sprechenden Steinen" erzählen lassen: Bis ins Eismeer und nach Indonesien fuhren sie einst, aus Halbwüchsigen wurden Kapitäne oder "Commandeure" gar – das waren die Befehlshaber von Walfangflotten. Manche wurden reich, manche erfroren, manche starben an tropischem Fieber.

Die wohl verrückteste Geschichte ist die von Hark Olufs. Die Steine auf dem Kirchhof von St. Clemens vermitteln das Wichtigste in Kürze: "Anno 1708 von den türkischen Seeräubern zu Algier ist er gefangen genommen." Der Junge war 16 Jahre alt, als er im Ärmelkanal in die Hände von Freibeutern fiel. Die ganze, so fantastische wie abenteuerliche, Geschichte erzählt die Ausstellung in Norddorf. Schiff, Ladung und Mannschaft wurden gen Mittelmeer verschleppt und schließlich auf dem Sklavenmarkt von Algier verkauft. Ein Freikauf des Jungen scheiterte, Hark Olufs fügte sich in sein Schicksal und lernte Arabisch und Türkisch.

Und der Junge machte Karriere wie kaum ein Zweiter: Ein tunesischer Herrscher – "dem türkischen Bey zu Constantine", so spricht der Stein – wird auf Olufs aufmerksam. Nicht lange und der kluge Amrumer ist zum Schatzmeister aufgestiegen. Er hatte einen guten Stand und stieg schließlich auf in den Rang eines Oberkommandierenden – "als Sklave verkauft, als General zurückgekehrt", heißt es in der Ausstellung. Hark Olufs wurde sogar zum Moslem und nahm 1730 an einer Pilgerfahrt nach Mekka teil.

Der Herrscher ist über die Arbeit des einstigen Sklaven aus dem Ärmelkanal so dankbar, dass er ihm die Freiheit schenkt. Olufs kehrt heim nach Amrum und hat sich dort, so steht auf dem Stein, "1737 in dem Stande der heiligen Ehe begeben mit Antje Harken". Fünf Kinder, auch dies verbucht der Grabstein, gingen aus der Ehe hervor, der legendäre Olufs starb 1754 im Alter von nur 46 Jahren. Aber als er 1736 nach Amrum zurückkehrte, brach auf der Insel nicht nur Freude aus, sondern auch Misstrauen. Olufs war ein reicher Mann, und er war Moslem. Erst nach Rekonvertierung, evangelischer Konfirmation und der Heirat mit Antje Harken kehrt er in die Gemeinschaft der Insulaner zurück.

Hat Olufs all seine echten wie vermeintlichen Schätze eigentlich mit nach Amrum gebracht? Schnell rankten sich Legenden um die Lebensgeschichte. Einer Sage nach soll sein Geist jede Nacht irgendwo zwischen Nebel und Süddorf herumirren. Schließlich fragte ein mutiger Mann, was den Untoten umtriebe. Olufs hatte seinen Hinterbliebenen nicht verraten, wo ein Großteil seiner Schätze versteckt liegt. Er bat den Mann, dies seiner Familie mitzuteilen, und wirklich soll dort Geld gefunden worden sein.

Der Sturm hat wieder zugenommen, wütend wirft sich die See weit draußen auf den Kniepsand.

Amrum

Anreise
Die Insel Amrum ist nur per Fähre mit der Wyker Dampfschiffreederei erreichbar. Fährhafen ist Dagebüll, über Wyk auf Föhr fahren die Schiffe weiter nach Wittdün auf Amrum. Dauer: etwa zwei Stunden. Hin- und Rückfahrt: 18,30 Euro/Erwachsene, 9,15 Euro/Kind, Pkw (je nach Länge) ab 57,50 Euro. Vor allem im Winter sollte man sich auf der Homepage www.faehre.de über wetterbedingte Fahrplanänderungen informieren.

Unterkunft
Hübsche Ferienwohnungen unter Reetdach gibt es in allen Amrumer Orten. Beispiel: in Nebel für zwei bis sechs Personen, Wohnfläche 33 bis 110 m² ab 55 Euro pro Tag inklusive Bettwäsche, Handtücher und Endreinigung, www.amrum-waashues.de.

Essen und trinken
Erstklassig speist man im Hotel Hüttmann in Norddorf. Das Haus hat zudem eine schöne Bar und Kuchen aus eigener Konditorei (www.hotel-huettmann.com). Ebenfalls sehr gut: das Restaurant im Hotel Seeblick in Norddorf (www.seeblicker.de).

Was Sie tun und lassen sollten
Auf keinen Fall allein ins Wattenmeer gehen (das ist lebensgefährlich) und bei Nebel darauf achten, immer an der Dünenkante zu bleiben. Auf jeden Fall an einer naturkundlichen Führung teilnehmen. Und sich die Burg aus Strandgut zwischen Norddorf und Nebel ansehen – eine wunderschöne Installation aus dem, was man am Strand alles findet.

Ausstellung
Von den Abenteuern eines Amrumer Seemanns in Nordafrika erzählt eine Ausstellung im Naturzentrum in Norddorf (www.naturzentrum-norddorf.de). Die Schau ist von Dezember bis März am Mittwoch, Freitag, Samstag und Sonntag jeweils von 12 bis 16 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei, es wird um eine Spende gebeten. Buchtipp: Udo Weinbörner: "Der General des Bey: Das abenteuerliche Leben des Amrumer Schiffsjungen Hark Olufs", Horlemann, 19,90 Euro.