Akten im Gerichtssaal Foto: dpa

Widerrufene Aussagen: Mit Spannung wird im Amokprozess die Aussage einer 48-Jährigen erwartet.

Stuttgart - Er habe einen "Hass auf die Welt" und wolle "Leute umbringen", soll Tim K. 2008 bei einem Gespräch in der Jugendpsychiatrie in Weinsberg gesagt haben. Im März 2009 erschoss er dann 15 Menschen und sich selbst. Wussten seine Eltern von seinen Tötungsfantasien?

Die Frage schien in dem Prozess gegen den Vater des Amokläufers vor der 18. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart beantwortet. Aus Weinsberg hieß es, man habe die Eltern unterrichtet. Die Eltern bestreiten das.

Dann tat sich eine weitere Zeugenaussage auf. Eine 48-jährige Frau, die die Familie des Täters nach dem Amoklauf vom 11. März 2009 betreute, sagte Mitte November vor Gericht aus, die Eltern hätten von Tims Tötungsfantasien gewusst - um dann zwei Wochen später diese zentrale Aussage zu widerrufen. Am morgigen Donnerstag soll die Betreuerin, gegen die derzeit ein Verfahren unter anderem wegen Falschaussage läuft, nun zum dritten Mal gehört werden.

Was hätte der Vater merken müssen?

Jörg K., der Vater des 17-jährigen Amokläufers, steht wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz vor Gericht. Er hatte die Tatwaffe unverschlossen in einem Kleiderschrank aufbewahrt. Und das in dem Haus, in dem sein sonderlicher Sohn lebte, der Tötungsfantasien geäußert hat? Hätte der Vater den psychischen Zustand Tims erkennen können, ja müssen? Die Antwort auf diese Frage entscheidet darüber, ob Jörg K. auch wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung bestraft wird. Deshalb wird die dritte Aussage der Betreuerin mit Spannung erwartet. Zu diesem Thema haben allerdings schon zwei Sachverständige ausgesagt.

Ein Psychologe des Landeskriminalamts (LKA) sagte, um die Gefahr erkennen zu können, die von Tim K. ausgegangen ist, hätte es eines Fachmanns bedurft. In diese Kerbe haute auch der von der Verteidigung bestellte psychiatrische Sachverständige Reinhard Haller aus Österreich. Haller hatte mehrere Gespräche mit der Familie des Tim K. geführt und war zu dem Schluss gekommen, Tim habe an einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung gelitten sowie an einer sozialen Phobie, habe narzisstische Tendenzen gehabt und ein mangelndes Selbstwertgefühl.

Der Vater seinerseits könne Gefühle nicht gut wahrnehmen. In seinem schriftlichen Gutachten sagt Haller, Jörg K. sei eindeutig nicht in der Lage gewesen, den psychischen Zustand seines Sohnes erkennen zu können. Im Zeugenstand wollte Haller dies nicht mehr so deutlich formulieren.

Eigentlich hatte die 18.Strafkammer gehofft, die Beweisaufnahme in dem Mammutprozess mit 43 Nebenklägern am morgigen Donnerstag schließen zu können. Auf Antrag der Verteidigung sollen jedoch im Januar weitere Zeugen gehört werden. Erst danach kann plädiert und geurteilt werden.