Der Bericht der Rechtsmediziner im Amokprozess nimmt die Angehörigen sichtlich mit.

Stuttgart - Die Rechtsmedizin ist ein nüchternes Geschäft, bei dem sich Emotionen verbieten. Ganz so hat der renommierte rechtsmedizinische Sachverständige Dr.Heinz-Dieter Wehner im Prozess um den Amoklauf von Winnenden und Wendlingen sein Gutachten erstattet. "Wir haben die Leichen entkleidet, Schusslücken nummeriert, und dann ging die Leichenschau hintereinander weg." Von 43 Angehörigen der Opfer, die als Nebenkläger am Stuttgarter Landgericht auftreten, hatte sich nur eine Handvoll eingefunden. Denn sie wussten: Auch an diesem Prozesstag wird der gewaltsame Tod ihrer Lieben ein weiteres Mal haarklein beschrieben werden.

Der 67-jährige Rechtsmediziner skizziert die Verletzungen in seiner bekannt sachlichen Art. Eine Schülerin der Klasse 9c der Albertville-Realschule in Winnenden, in der der Amoklauf des 17-jährigen Tim K. am Morgen des 11. März 2009 seinen Anfang genommen hatte, wurde durch zwei Schüsse in den Rücken getötet. "Von hinten erschossen, dann nach vorn auf den Tisch gekippt", so Wehner lapidar. Da ist von schweren Zerstörungen im Bauchbereich die Rede, von Zerfetzungen des Lebergewebes, von Trümmerfrakturen des Brustwirbelkörpers, vom sofortigen Tod.

"Typisch suizidal, mitten in die Stirn"

Der angeklagte Vater des Amokläufers, der 51-jährige Jörg K., dem fahrlässige Tötung in 15 Fällen vorgeworfen wird, hört die Ausführungen äußerlich ungerührt. Der Mann schweigt, er macht keine Aussage vor der 18. Strafkammer. Die wenigen Nebenkläger, die erschienen sind, wirken mitgenommen. Ihre Angehörigen sterben an diesem sechsten Prozesstag erneut.

Ein Kunde des Autohauses in Wendlingen, wohin sich Tim K. am Ende seines wahnsinnigen Tuns geflüchtet hatte, wird von dem ehemaligen Schüler der Albertville-Realschule mit drei Kopfschüssen getötet. "Mit dem Leben nicht vereinbar, sofortiger Tod", sagt der Mediziner.

Den 36-jährigen Autoverkäufer mordete Tim K. gar mit elf Schüssen, ehe er sich selbst mit einem aufgesetzten Schuss in den Kopf richtete. "Typisch suizidal, mitten in die Stirn", sagt der Gutachter.

Keine Hinweise, dass gezielt geschossen wurde

Nach wie vor ist keine Regung bei dem Angeklagten zu erkennen, mit dessen Pistole Tim K. 15 Menschen erschossen und 14 Menschen verletzt hat. Sein Sohn, dieser verschlossene und kontaktarme 17-Jährige, der sich offenbar gemobbt fühlte, hatte die großkalibrige Waffe aus dem Schlafzimmerschrank im elterlichen Haus in Weiler zum Stein genommen. Deshalb steht sein Vater vor Gericht. Die Pistole war nicht vorschriftsmäßig weggeschlossen.

Heinz-Dieter Wehner hat auch den Amokschützen obduziert. Er bestätigt die Ergebnisse der Kriminalpolizei: "Beim Täter wurden weder Alkohol noch Betäubungsmittel oder Medikamente im Blut festgestellt." Ehe Tim K. das Morden im Autohaus fortgesetzt hatte, war er von der Polizei in die rechte Wade und die linke Ferse geschossen worden. Selbst diese beiden Kugeln hatten den Jugendlichen nicht gestoppt.

Keine Hinweise, dass gezielt geschossen wurde

Dr. Frank Wehner, der zweite der drei involvierten Rechtsmediziner, bestätigt die Aussage seines Kollegen, dass Tim K. nicht gezielt auf bestimmte Personen angelegt hat: "Aus unserer rechtsmedizinischen Sicht gibt es keine Hinweise, dass gezielt geschossen wurde." Das spricht gegen die Einschätzung des psychiatrischen Gutachters Reinmar Du Bois, Tim K. habe sich gezielt Mädchen als Opfer ausgesucht.

Die Richter der 18. Strafkammer versuchen, dem Amokschützen so nahe wie möglich zu kommen. Hätte der Vater erkennen können oder müssen, dass sein Sohn psychische Probleme hatte? Dies könnte sich auf Urteil und Strafmaß auswirken. Ob sich diese Frage klären lässt, scheint jedoch zweifelhaft. Zumal nicht zu erwarten ist, dass die Mutter und die Schwester des Tim K. in den Zeugenstand treten werden. Beide sind geladen, können aber von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.

Die Familie lebt unter falschem Namen an einem geheimen Ort, die Tochter muss in der Schule lügen. Zu allem Übel dienen sich dem Gericht immer wieder dubiose Zeugen an, die von einer angeblichen Verschwörung wissen wollen. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.