Im Revisionsprozess um den Amoklauf von Winnenden hat das Gericht den Vater des Täters zu einem Jahr und sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Die Strafe lag damit leicht unter der des ersten Verfahrens.

Stuttgart - Der Vater des Amokläufers von Winnenden trägt eine Mitschuld an dem Blutbad vor vier Jahren. Das bekräftigte ein Gericht nach erneuter Überprüfung des Falls. Die Stuttgarter Richter verurteilten den 54-jährigen Unternehmer am Freitag zu 18 Monaten Haft auf Bewährung unter anderem wegen fahrlässiger Tötung. Er hatte die Pistole unverschlossen im Kleiderschrank aufbewahrt, mit der sein Sohn Tim K. am 11. März 2009 in Winnenden und Wendlingen 15 Menschen und sich selbst erschoss.

„Es ist die Überzeugung der Kammer, dass es nicht zum Amoklauf gekommen wäre, wenn Sie Waffen und Munition ordnungsgemäß verwahrt hätten. Punkt. Aus“, sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Polachowski. Der Angeklagte sei mit den waffenrechtlichen Anforderungen schlicht „schlampig umgegangen“, betonte der Richter.

Strafmaß um drei Monate reduziert

Dennoch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Eltern von den Tötungsfantasien ihres 17-jährigen Sohnes wussten. Damit begründete Polachowski, dass die Kammer das Strafmaß aus dem ersten Urteil um drei auf nunmehr 18 Monate reduzierte.

Die Kammer sprach den 54-Jährigen der fahrlässigen Tötung in 15 Fällen und der 14-fachen fahrlässigen Körperverletzung für schuldig. Zudem sahen die Richter es als erwiesen an, dass er gegen das Waffengesetz verstoßen hat. Die meisten Opfer des Amoklaufs waren Schüler und Lehrer der Albertville Realschule in Winnenden.

Verteidiger: Jörg K. hat schon genug gelitten

Die Staatsanwälte hatten auf die gleiche Strafe wie im ersten Urteil plädiert und angeführt, der Revisionsprozess habe keine neuen Erkenntnisse gebracht. Das bewerteten die Verteidiger des Vaters anders: Sie sahen nur einen Verstoß gegen das Waffengesetz und forderten, die Kammer solle von einer Strafe absehen. Der Angeklagte habe wegen des Verlusts seines Sohnes schon genug gelitten, hieß es in der Begründung von Rechtsanwalt Hubert Gorka.

Der zweite Prozess war nötig, weil der Bundesgerichtshof das erste Urteil wegen formaler Fehler kassiert hatte. Da damals nur die Verteidigung und nicht die Staatsanwaltschaft Revision beantragt hatte, konnte die Strafe für den Angeklagten diesmal nicht höher ausfallen als im ersten Verfahren.

Das jetzige Urteil kann erneut angefochten werden. Selbst wenn es rechtskräftig wird, haben die gerichtlichen Auseinandersetzungen damit noch kein Ende: Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe kommen auf den Vater zu. Sechs Geschädigte haben beim Landgericht schon Klage eingereicht. Der Vater selbst strebt eine Klage gegen das Psychiatrische Klinikum in Weinsberg an, dem er vorwirft, ihn nach Untersuchungen seines Sohnes nicht über eine erkannte Gefahr informiert zu haben.

Der Prozess gegen Jörg K. - eine Chronologie

Der Prozess gegen Jörg K. - eine Chronologie

12. März 2009: Bereits einen Tag nach dem Amoklauf beginnen Ermittlungen gegen den Vater von Tim K. wegen Verstoßes gegen das Waffenrecht.

16. März 2009: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart leitet gegen den Vater des 17-jährigen Täters ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung ein. Es lägen konkrete Anhaltspunkte vor, dass die Eltern Kenntnis von den psychischen Problemen ihres Sohnes hatten.

12. November 2009: Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger weist die Staatsanwaltschaft an, gegen den Vater Anklage zu erheben und sich nicht wie bis dahin geplant mit einem Strafbefehl zu begnügen.

27. November 2009: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den Vater. Sie lautet auf fahrlässige Tötung in 15 Fällen, mehrfache fahrlässige Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz.

6. Mai 2010: Das Landgericht Stuttgart lässt die Anklage der Staatsanwaltschaft zu. Der Vater muss sich zunächst wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz verantworten. Zu Beginn des Prozesses verkündet der Vorsitzende Richter dann, dass auch eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung in Betracht kommt.

10. Februar 2011: Knapp zwei Jahre nach dem Amoklauf wird der Vater des Täters unter anderem wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monate auf Bewährung verurteilt.

30. April 2012: Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hebt das Urteil gegen den 53-Jährigen auf. Als Begründung nannten die Richter in dem Beschluss vom 22. März: Die Verteidigung habe keine Gelegenheit gehabt, eine Familientherapeutin als wichtige Zeugin zu befragen, heißt es in dem Beschluss (Az.: 1 StR 359/11).

14. November 2012: Der Vater des Amokschützen hüllt sich zu Beginn des zweiten Prozesses vor dem Landgericht Stuttgart wieder in Schweigen.

3. Dezember 2012: Die Schlüsselzeugin verweigert vor dem Landgericht weitere Angaben.

2. Januar 2013: Das Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden kritisiert die Zivilklage vom Vater des Amokläufers gegen das Klinikum in Weinsberg. Der Vater möchte erreichen, dass das Klinikum bis zu 8,8 Millionen Euro an möglichen Schadensersatz-Zahlungen übernehmen muss.

18. Januar 2013: Die Staatsanwaltschaft fordert ein Jahr und neun Monate Haft auf Bewährung für den Vater des Täters.

28. Januar 2013: Verteidiger des Angeklagten fordern Straffreiheit für den 54-Jährigen. Im Schlusswort spricht der Angeklagte allen Opfern und Angehörigen sein Mitgefühl aus.

1. Februar 2013: Jörg K. wird zu einem Jahr und sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Die Strafe lag damit leicht unter der des ersten Verfahrens.