In der Nähe des Tatorts haben Münchner Blumen und Kerzen abgelegt. Foto: Getty Images Europe

Hubschrauber kreisen über München, Streifenwagen rasen vorbei, Jalousien bleiben geschlossen – und über allem liegt die Angst: Nadine Funck hat die Nacht des Amoklaufs in München erlebt.

München - Es ist Freitagabend, 17.30 Uhr. Ein Sommerabend. Die Sonne sticht und am Himmel ziehen die ersten dunklen Gewitterwolken auf. Vielleicht ein erster Vorbote für das, was nur wenig später passieren sollte.

Ich möchte eine Freundin vom Hauptbahnhof abholen, laufe über den Marienplatz und fahre von dort zum Hauptbahnhof. Auf dem Marienplatz feiern Unzählige ein Sommerfest, am Hauptbahnhof eilen Pendler und Urlauber an mir vorbei. Auch an diesem Freitag frage ich mich, woher all diese Menschen kommen. Menschenmassen zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Schüsse am Einkaufszentrum

Der Zug meiner Freundin verspätet sich um einige Minuten. Ich warte am Hauptbahnhof. Inzwischen ist es 18.10 Uhr. Wenig später fährt der Zug ein. Wir haben Hunger und machen uns direkt auf den Weg zur U-Bahn. Meine Freundin kann es kaum glauben, wie viele Menschen sich hier gleichzeitig an einem Ort aufhalten, bei den Fernzügen in der Bahnhofshalle, am U-Bahn-Gleis und in der U-Bahn selbst.

Und während ich ihr erzähle, dass ich beinahe täglich darüber nachdenke, was im Falle eines Falles passieren würde, fallen am Olympia-Einkaufszentrum Schüsse, die vielen Menschen das Leben kosten.

Wir gehen zu meiner Wohnung unweit des Odeonplatzes und überlegen, wo wir später essen gehen könnten. In diesem Moment klingelt mein Handy. Eine Freundin am anderen Ende der Leitung fragt, ob alles okay sei. Ich verstehe nicht recht, worauf sie hinaus will.

Anrufe im Minutentakt

Von diesem Moment an scheint sich zu bewahrheiten, was viele befürchtet und doch irgendwie nicht für möglich gehalten haben: Die Angst ist nach Deutschland, nach München gekommen – auch wenn sich später herausstellt, dass es sich nicht um einen Terroranschlag handelt.

Im Minutentakt gehen die Anrufe, die Nachrichten von Freunden und Verwandten ein. Das Netz ist allerdings überlastet, ich kann mit niemanden telefonieren. Und dann hören wir es auch: Polizei- und Krankenwagen, die unmittelbar vor meinem Fenster durch die inzwischen leer gefegten Straßen rasen. Mittlerweile ist es 18.30 Uhr. Innerhalb weniger Minuten hat sich München von der belebten Großstadt in Sommerlaune in eine gespenstisch stille Stadt verwandelt.

Immerhin weiß ich, dass alle meine Freunde in der Stadt in Sicherheit sind. Wir bleiben Zuhause – nicht zuletzt, weil es von den Behörden so angeordnet worden war.

Kreisende Hubschrauber und rasende Streifenwagen

Die Hubschrauber kreisen über meinem Viertel, ein paar Menschen eilen in ihre Wohnungen, immer wieder rasen Streifenwagen an den Häusern vorbei. Anfänglich glauben wir, die Lage würde sich bald entspannen. Doch Stunden später sitzen wir noch immer in der Wohnung, die Fenster geschlossen, die Jalousien heruntergelassen.

Wir wollten uns nicht einschüchtern lassen, doch am Ende ist genau das passiert. Wir hören von Freunden, die sieben Kilometer durch die Stadt laufen mussten, weil der Nahverkehr zum Stillstand gekommen war. Wir hören von anderen, die in der Stadt festsaßen. Wir hören von Toten und vielen Verletzten.

In dieser Nacht schlafen wir kaum. Die Hubschrauber kreisen noch bis in die frühen Morgenstunden über unserem Viertel. Am Morgen dann der erste Blick auf das Handy: Entwarnung. Der Täter tot aufgefunden, die Straßen wieder sicher.

Der erste Gang vor die Haustür

Es ist acht Uhr am Samstagmorgen, als ich das erste Mal das Haus verlasse. Noch immer ist es erstaunlich ruhig. Nur wenige Menschen sind auf der Straße. Und auch am Nachmittag spürt man noch, dass dies kein gewöhnlicher Tag in München ist, kein gewöhnlicher Tag sein kann.

In der Innenstadt ist die hohe Präsenz der Polizei spürbar. Immer wieder erklingen Sirenen im Hintergrund. Noch immer kreisen Hubschrauber über der Stadt. Auf den Straßen gibt es kein anderes Gesprächsthema – und doch scheint langsam wieder alles seinen geregelten Gang zu gehen. Am Marienplatz fotografieren sich Touristen vor dem Neuen Rathaus wie an jedem anderen Tag auch. An diesem Samstag aber ziert das Gebäude ein Trauerflor.