Polizei in höchster Alarmbereitschaft Foto: Leif Piechowski

Verletzt worden ist niemand am Mittwoch im Scharnhauser Park. Und doch mussten Hunderte Menschen die wohl bangsten Stunden ihres Lebens durchmachen. Nach der Meldung über einen bewaffneten Mann an der Schule im Park ist ein Großeinsatz angelaufen.

Ostfildern - Ein furchtbares Wort macht die Runde. Geflüstert nur, ganz leise. Doch immer öfter: „Winnenden.“ Im Stadthaus im Scharnhauser Park sind zahlreiche Eltern versammelt. Und manche von ihnen befürchten das Schlimmste. Einen Amoklauf. An der Schule ihrer Kinder. Und sie selbst können nichts weiter tun, als hier, im zweiten Stock, am Fenster zu stehen und hinüberzuschauen zum Schulgebäude, das von einem Sondereinsatzkommando der Polizei umstellt ist. Männer mit Maschinenpistolen.

Eine Stunde zuvor, um 11.37 Uhr am Mittwochvormittag, hat die Schule Alarm geschlagen. „Drei Erstklässlerinnen haben gemeldet, dass sie auf dem Hof einen Mann gesehen haben“, sagt eine Polizeisprecherin. Die Beschreibung ist so genau, dass alle Alarmglocken schrillen. Schwarz gekleidet soll er sein, eine Sturmhaube tragen und eine Schusswaffe dabeihaben. Er soll sich nach dem Entdecktwerden vom Schulgebäude wegbewegt haben. Die Schule informiert die Polizei, etwa 420 Grund- und Werkrealschüler schließen sich mit ihren Lehrern in den Klassenzimmern ein.

Das Sondereinsatzkommando rollt an. Insgesamt sammeln sich 180 Polizisten, 50 Rettungskräfte, 35 Feuerwehrleute und Helfer der Stadtverwaltung Ostfildern. 300 Einsatzkräfte alles in allem. Das gesamte Areal rund um die Gerhard-Koch-Straße wird abgesperrt. Hunderte Schaulustige finden sich ein. Die Stadt richtet im benachbarten Stadthaus in Windeseile eine Sammelstelle für besorgte Eltern ein. Immer mehr Menschen strömen durch die Türen.

Manche sind gefasst, einige tränenüberströmt. „Die Leute sind sehr angegriffen, unterstützen sich aber gegenseitig“, sagt Notfallseelsorger Oliver Schütz. „Schüsse hat keiner gehört“, sagt eine Frau voller Hoffnung. Da fällt es wieder, das böse Wort: „Winnenden.“ Gegenüber dringen maskierte Polizeibeamte ins Schulgebäude vor. Etwas Erleichterung kommt bei den Eltern erst nach einer Polizeidurchsage auf: „Es ist nichts passiert, den Kindern geht es gut. Sie bleiben in den Klassenzimmern, bis die Durchsuchung des Gebäudes abgeschlossen ist.“ Listen liegen aus. Dort tragen die Eltern ihren Namen oder den ihres Kindes ein.

Gegen 13.45 Uhr ist klar: Es hält sich kein Amokläufer auf dem Gelände oder in der Schule auf. Nach und nach beginnt die Polizei, die Kinder klassenweise aus dem Gebäude zu führen. Im Stadthaus macht sich Erleichterung breit – und Hektik. Welche Klasse kommt in welchen Raum? Wo sind die Eltern dazu? Die ersten Kinder kommen durch den Hintereingang an, mit Sichtschutz vor neugierigen Blicken abgeschirmt.

Unbeschreibliche Szenen spielen sich ab. Weinend liegen sich Mütter und Kinder in den Armen. Mancher Schüler wirkt ganz gelassen, anderen steht die Verstörung ins Gesicht geschrieben. „Falscher Alarm“, stammelt ein Jugendlicher. Und: „Ich hab’ ganz schön Schiss gehabt.“ Aus anderen sprudeln die Worte wie ein Wasserfall. „Die Lehrer haben sofort reagiert und uns in den Klassenzimmern eingeschlossen“, erzählt ein Werkrealschüler. „Nach einer Stunde kamen Polizisten und haben mit uns gewartet, bis wir raus konnten.“

Schulleiter Peter Bloos ist „sehr froh, dass alles ohne Schaden über die Bühne gegangen ist“. Er selbst war nicht im Gebäude, als der Alarm kam, ist aber sofort zur Schule geeilt. Für ihn und seine Kollegen beginnt die Arbeit jetzt erst richtig. Zwar ist kein Verdächtiger gefasst worden, aber der aufreibende Tag wird seine Spuren hinterlassen. „Wir müssen das alles in den nächsten Tagen gemeinsam aufarbeiten“, sagt Bloos. Bereits an diesem Donnerstag werden Schulpsychologen ins Haus kommen.

Auch die Ermittlungen der Polizei gehen weiter. Die Erstklässlerinnen, die die Meldung gemacht haben, werden noch an Ort und Stelle befragt. „Jetzt müssen wir deren Beobachtungen weiter abklären“, sagt Dieter Schneider, Präsident des Landeskriminalamts, der zur Schule gekommen ist. Ob es tatsächlich einen bewaffneten Mann gegeben hat, bleibt zunächst unklar.

Den Eltern und Kindern im Stadthaus ist das in diesem Moment egal. Sie wollen sich gar nicht mehr loslassen. Hunderte Menschen haben die wohl bangsten Stunden ihres Lebens hinter sich.