Zu Amerikas Geburtstag lädt die US-Garnison erneut auch Deutsche zum Feiern ein. Viele Tausende Besuchen kommen. Trotz vorangegangener Terrorwarnung und durchwachsenem Wetter.
Familien ziehen mit Kinderwagen am großen Einkaufszentrum vorbei, Menschen winken mit Sternenbanner-Fähnchen. Dazu viel Musik. Von den Foodtrucks zieht Barbecue-Duft über den riesigen Platz. Und ganz zum Schluss blitzen Raketen rot, weiß und blau über den Köpfen jubelnder Zuschauer am dunklen Himmel über der Böblinger Panzerkaserne.
Die Soldaten, Zivilbediensteten und Familien der Stuttgarter US-Garnison feiern ihren Unabhängigkeitstag. Und zum zweiten Mal waren auch deutsche Gäste dazu eingeladen, den Geburtstag Amerikas – diesmal ist es der 248. – mitzufeiern. Wieder ließen sich das Tausende nicht zwei Mal sagen, auch wenn es, im Unterschied zum Vorjahr, bei den US-Marines, die am Kasernentor freundlich die Taschen durchsuchten, keine langen Schlangen gab. Weitere besondere Sicherheitsmaßnahmen sind nicht erkennbar. „Ein Bekannter wollte nicht mitkommen, wegen der Terrorwarnung“, erzählt der Rentner Reinhard Warthuhn, der eigens aus Calw angereist ist. Trotz allem. Am Ende werden es wieder fast 16 000 Besucher, schätzt das US-Militär, die zu dem friedlich-fröhlichen Fest kommen. Die Sicherheitsstufe der Panzerkaserne wurde bereits am Mittwoch von Charlie wieder auf Bravo gesetzt, die Alarmstimmung ist also reduziert.
„Familie, Freude, Zusammensein“
Auch das Wetter spielt zunächst nicht mit. Um kurz nach 16 Uhr schüttet es wie aus Kübeln. Dann hellt es aber auf. „Das gemeinsame Feiern ist doch schön“, sagt Warthuhn. Auch eine junge amerikanische Mutter freut sich: „Wir feiern zusammen mit den Deutschen unsere Unabhängigkeit – fantastisch.“ Und Dorand Williams, der am Eingang kleine Pläne für das weitläufige Gelände verteilt, meint auf die Frage nach der Bedeutung des 4. Juli: „Familie, Freude und Zusammensein, auch mit den Deutschen“, sagt der Afro-Amerikaner, der seit 50 Jahren in Deutschland lebt.
In Zeiten allgemeiner Unzufriedenheit über den Kurs des Landes, in denen die Sorge um den Zusammenhalt ohnehin groß ist, hat die alte Demokratie jüngst erst neue Verunsicherung erfahren. Mit seiner extrem weitgefassten Auslegung der Immunität, und damit der Macht des Präsidenten, hat ein konservativ-dominiertes US-Verfassungsgericht in den Augen vieler US-Bürger die Frage aufgeworfen: Haben sie aus dem Präsidenten gar „einen König über dem Gesetz“ gemacht, wie es im Minderheitenvotum zum Urteil heißt?
Hinzu kommt, zumindest bei den Parteigängern der Demokraten, nach dem schwachen TV-Auftritt von Präsident Joe Biden, die Sorge um das mächtigste Amt der Welt. „Am größten Tag in der politischen Geschichte der Menschheit“, schreibt der konservative Kolumnist George Will zum 4. Juli in der „Washington Post“, „fragen sich Amerikaner, ob ihre Politik jemals wieder normal sein wird“.
Entspannt-patriotisches Volksfest
Da hilft das entspannt-patriotische und beneidenswert egalitäre Volksfest des amerikanischen Unabhängigkeitstages. Ein Augenblick zum Innehalten, zur Selbstvergewisserung und der Einigkeit? Schon der Gründervater John Adams meinte gleich, nachdem die Kolonisten mit ihrem König brachen, der Unabhängigkeitstag sollte als „Tag der Erlösung“ begangen werden, „mit Pomp, Shows, Spielen, Sport, Kanonen, Glocken, Freudenfeuern und Illuminationen, von einem Ende des Kontinents zum anderen, von nun an für immer“.
„An diesem Tag feiern wir unser großes Experiment der Demokratie und der Freiheit“, meint heute Oberleutnant Matthew Long. „Das funktioniert.“ Als Soldat ist er, zumindest im Dienst, zu politischer Neutralität und Zurückhaltung verpflichtet. Von Spaltung will der US-Marine aber nichts wissen. In den Grundprinzipien sei man sich weiter einig, meint er.
„Toll“ findet er es, dass Deutsche diesen Tag mit den Amerikanern gemeinsam feiern. „Ich kenne viele Deutsche, die unseren Lifestyle und das, wofür wir stehen, mögen“, so der 39-Jährige. „Ich komme zum 4. Juli, weil ich mich zur Hälfte als Amerikaner fühle“, sagt ein Rentner mit US-Fahne auf seinem T-Shirt. „Und ich bin pro-Trump“, sagt er und lacht. Weil er gezielt gegen die politischen Korrektheiten verstoße.
Zu sehen und auch zu tun gibt es auf dem Böblinger Kasernengelände jede Menge: historische Militärfahrzeuge, eine Hundevorführung, eine Zaubershow, dazu ein Apfelkuchen- und ein Wassermelonenwettessen. Und am späteren Abend heizt die Alternative-Rock-Band EverClear kräftig ein.
Amerikaner fühlen sich pudelwohl
In Stuttgart leben rund 28 000 US-Soldaten, Zivilbeschäftigte, Vertragsnehmer mit ihren Familien. Die allermeisten fühlen sich hier pudelwohl. Viele würden gerne auch länger als die üblichen zwei, drei Jahre bleiben, hat Generalleutnant Steven Basham, der stellvertretende Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa (Eucom) unserer Zeitung gesagt und den umliegenden Gemeinden für ihre Gastfreundschaft gedankt. „Das schätze ich sehr, weil uns das zu einem Teil der Gesellschaft macht“, so Basham. Seine Sicht ist keine Selbstverständlichkeit.
Gute Beziehungen mit den Deutschen
Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 hatten sich die Amerikaner viele Jahre eingeigelt, und auch die deutsche politische Seite glänzte mit Gleichgültigkeit und Ignoranz. Dann kam der vergangene Garnisonskommandeur Matthew Ziglar und boxte – gegen innere Widerstände – die öffentliche Großfeier zum 4. Juli 2023 durch – mit großem Erfolg. Auch der Krieg in der Ukraine hat vielen Deutschen wieder bewusster gemacht, wie wichtig die Präsenz der Amerikaner in Deutschland ist. „Ich sehe mich verpflichtet, die guten Beziehungen zwischen der US-Militärgemeinde und den Deutschen auszubauen“, sagt der jetzige Garnisonskommandeur Kirk Alexander. Demokratie, Gleichheit und Unabhängigkeit könne man am besten mit Partnern wie Deutschland verteidigen, so der Oberst. General Basham dankt der Militärgemeinde für ihren Einsatz: „Wir genießen unsere Freiheit, weil es Menschen gibt, die zum letzten Opfer bereit sind.“
In Berlin wächst derweil mit dem herannahenden Termin der US-Präsidentschaftswahl im November die Nervosität: Würde das enge Bündnis mit den USA eine neuerliche Präsidentschaft Donald Trumps überstehen?