Blick durchs Zielfernrohr, in dem auch Frauen und Kinder auftauchen: Bradley Cooper als Scharfschütze im Irak-Krieg mit enormer Trefferquote. Foto: Verleih

Ein tiefer Blick in die verwundete amerikanische Seele: Clint Eastwood zeigt Brutalität, Sinnlosigkeit und Folgen des Irak-Krieges - Kritiker streiten: patriotischer US-Propaganda-Film oder Antikriegsfilm?

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "American Sniper"

Einen Fehler macht dieser Film: American Sniper verwendet den realen Namen und die Autobiografie von Chris Kyle, dem mit 160 bestätigten Tötungen erfolgreichsten US-Scharfschützen aller Zeiten. Kyle aber, nach 9/11 lange im Irak, war ein rechtsnationaler Waffennarr, dem Töten Freude bereitete, der die Moslems im Nahen Osten als „Barbaren“ bezeichnete und der Lügen über sich und andere verbreitete.

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Der Chris Kyle im Film nun ist auf Hollywood-Format entgratet. Er zieht in den Krieg, weil er glaubt, sein Land und dessen Leute zu schützen. Er ist rechtschaffen, menschlich und sich der Dimension des Tötens voll bewusst; er ist kein großer Idealist, sondern ein kleiner innerhalb des Rahmens, den er zu überblicken vermag.

Patriotischer US-Propaganda-Film oder Antikriegsfilm?

Wieso ihm nicht schon Steven Spielberg einen anderen Namen gegeben und eine völlig fiktive Figur aus ihm gemacht hat, bleibt ein Rätsel. Spielberg sprang als Regisseur ab, weil seine Budget-Vorstellungen von denen des Studios stark abgewichen sein sollen. Clint Eastwood (84) hat übernommen und in den USA viel Geld eingespielt, während Intellektuelle darüber streiten, ob es sich um einen patriotischen US-Propaganda-Film handelt oder um einen Antikriegsfilm.

Eastwood zeigt Kyle, dem sein reaktionärer Vater ein krudes Weltbild einbläut, in dem es nur Wölfe, Schafe und Hirtenhunde gibt. Der angehende Hirtenhund Kyle durchläuft die Schinder-Ausbildung der Elite-Einheit Navy Seals, sitzt mit Kameraden stundenlang zitternd im kalten Wasser und fällt als exzellenter Schütze auf.

Im Irak dann liegt er auf einem Dach und sieht durchs Zielfernrohr, wie eine Mutter mit Kopftuch ihren kleinen Sohn mit einer Panzergranate auf herannahende Marines zuschickt – das Dilemma des Scharfschützen kommt hier auf den Punkt.

Zeuge abartiger Folter- und Schlachtszenen

Bald findet er sich im Duell mit einem gegnerischen Rivalen wieder. Weil ein Filmheld aber nicht nur liegen kann, hilft er den Marines unten, entlarvt Terroristen, gerät in Hinterhalte, wird Zeuge abartiger Folter- und Schlachtszenen. Auf Fronturlaub erinnert er an Paul Bäumer, den Protagonisten in Erich Maria Remarques Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“: Er ist traumatisiert und paranoid, er entfremdet sich von Frau, Kindern und zivilem Leben, und er geht öfter zurück in den Irak, als er müsste.

Was Eastwood an patriotischem Gedöns eingebaut hat, ist dem Milieu geschuldet. Soldaten bestärken einander, das Richtige zu tun, sie überhöhen ihren Einsatz, um ihn vor sich selbst zu rechtfertigen. Zugleich wird immer offensichtlicher: Die Lage im Irak verschlimmert sich stetig, der Blutzoll steigt, ein Sieg ist nicht in Sicht, der Terrorismus gedeiht immer prächtiger. Ob es den islamistischen Folterer mit der Bohrmaschine gegeben hat, ob es ihn braucht? Die IS-Terroristen mit ihren wahrhaft barbarischen Praktiken und ihren Kopf-ab-Videos sind da längst viel weiter.

Im Nachhinein sinnlos erscheinender Krieg

Clint Eastwood blickt tief in die verwundete amerikanische Seele, die der im Nachhinein sinnlos erscheinende Krieg nicht geheilt, sondern noch weiter erschüttert hat. Er zeigt Deformierte und Verstümmelte, die sich selbst verloren haben, einer von ihnen der Hirtenhund Kyle, der als Seelsorger zurückfindet ins Leben – und dann von einem irre gewordenen Veteranen erschossen wird.

Bradley Cooper gibt dem bauernschlauen Tor, der Kyle im Film letztlich ist, genau das richtige Gesicht: ein Gesicht, hinter dem nicht mehr ist, als sein Träger vorgibt.

All das wird andere kleine Idealisten mit einem ähnlichen geistigen Horizont wie Kyle nicht davon abhalten, den Film misszuverstehen – und für Amerika in den nächsten Krieg unter falschen Vorzeichen zu ziehen.

Unsere Bewertung zu American Sniper: 4 von 5 Sternen - empfehlenswert!

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