Jahr für Jahr stockt Amazon sein Personal in Deutschland (im Bild: Leipzig) auf. Foto: dpa

Amazon könnte von einem Einlenken im Dauerstreit mit der Gewerkschaft Verdi profitieren. Zumindest an den Gesprächstisch sollte sich die Amazon-Führung setzen, meint Wirtschaftsredakteur Thomas Thieme.

Stuttgart - Zwei Dinge muss man Amazon zugute halten. Erstens: Der Konzern schafft Arbeitsplätze. Erst am Dienstag hat man stolz verkündet, in diesem Jahr 800 unbefristete Stellen in Deutschland aufgebaut zu haben. Durch die drei neuen Versandzentren, die im kommenden Jahr hinzukommen sollen, werden weitere Jobs entstehen. Und zweitens: Amazon zahlt deutlich mehr als den Mindestlohn. Dass die Löhne wettbewerbsfähig sind, wie man stets betont, beweist schon die Tatsache, dass es dem Unternehmen nicht schwerfällt, neues Personal zu finden. Wer zu Amazon kommt, verbessert häufig seine persönliche Situation, sei es, weil er oder sie vorher arbeitslos war oder weil beim vorherigen Arbeitgeber schlechtere Bedingungen vorherrschten.

Dennoch ist Amazon vom Vorzeigearbeitgeber ungefähr so weit entfernt, wie die Beschäftigten von einem Tarifvertrag. Wer Belege für die unfaire Behandlung von Mitarbeitern durch Führungspersonal finden will, muss nicht lange suchen. Doch der Online-Händler unternimmt mittlerweile auch einige Anstrengungen, um sein Image als Arbeitgeber zu verbessern: von Gesundheitsprogrammen über kostenlose Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen bis zu Bonuszahlungen. Selbst die Löhne werden regelmäßig freiwillig erhöht.

Das Feindbild Verdi wird weiter gepflegt

Verbindliche Vereinbarungen, wie sie hierzulande zumindest bei guten Arbeitgebern üblich sind, scheut der US-Versandriese dagegen. Statt endlich in konstruktive Gespräche mit der Gewerkschaft einzutreten, wird diese weiter dämonisiert. Die Führungsetage pflegt das Feindbild Verdi und ist sich nicht zu schade, auch Mitarbeiter gegeneinander auszuspielen: Gewerkschaftsmitglieder gegen Nichtgewerkschaftsmitglieder, Festangestellte gegen Saisonarbeitskräfte. Fast vier Jahre dauert der Streit zwischen Verdi und Amazon nun schon an. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Dabei liegen die Forderungen der Gewerkschaft womöglich gar nicht mehr so weit entfernt von dem, was Amazon zu geben bereit und zweifelsohne in der Lage wäre. Statt weiter Ressourcen in einen Abwehrkampf zu stecken, sollte sich die Konzernführung intensiver damit beschäftigten, wie sehr man von einem Einlenken profitieren könnte. Zu einem positiven Image gehört es auch, sich den Gepflogenheiten des jeweiligen Landes anzupassen. Nur so gewinnt man Respekt und Anerkennung. Ignoranz könnte dagegen eines Tages von den Kunden bestraft werden.