Der Cop Jones(Miles Teller) wird zum Mörder. Foto: Amazon Prime Video

Beim Filmfestival von Cannes hatte Nicolas Winding Refn zwei Folgen seiner neuen Serie auf der Leinwand vorab zeigen dürfen. Nun kann man alle 13 Stunden des extremen Cop-Dramas bei Amazon Prime Video sehen.

Stuttgart - Es ist Nacht in Los Angeles, und die vielen Neonlichter glimmen wie die Träume von Teufeln, die sich an Menschenseelen sattgefressen haben. Eigentlich ist es immer Nacht in Nicolas Winding Refns Serie „Too old to die young“, in der ein Cop (Miles Teller) erst nebenberuflicher Auftragskiller und dann unbezahlter Vigilant wird, auch am hellichten Tag.

Selbst wenn gerade niemand eine Waffe in der Hand hat, liegt entweder eine Drohung in der Luft oder eine seltsame kalte Ruhe mitten in einer bürgerlichen Szenerie, als lohne ein Ausbruch von Gewalt gar nicht, weil sowieso alle schon ausgezählt, am Ende, optionslos sind.

Mehr Schweigen als Worte

Refn, 1970 in Kopenhagen geboren, ist mit der harten Drogengangstergeschichte „Pusher“ berühmt geworden, mit einem Film, der weniger in den Bildern als in seinem pessimistischen Menschenbild auf die düstersten Werke des Noir-Kinos zurückgriff. Im Lauf der Jahre hat Refn unterschätzte Meisterwerke wie „Bronson“ abgeliefert, ist dann aber in einen meditativen, provokant bedächtigen, sehr prägnanten Stil des Neonröhren-Noirs hinübergedriftet: Seine neueren Kinofilme wie „Only God forgives“ und „The Neon Demon“ hatten bei aller Brutalität eine zähe esoterische Komponente sehr nahe an der Selbstkarikatur.

Auf den ersten Blick macht „Too old to die young“, nun bei Amazon Prime zu sehen, da weiter, wo die anderen Filme aufgehört haben. Refn schätzt Schweigen mehr als Worte, seine Figuren sprechen, als würden ihnen für jede Silbe ein paar Tage Lebenszeit abgezogen und als sei für jede hörbar werdende Emotion ein strafender Stromstoß zu erwarten. Aber wer sich ein wenig einlässt auf dieses unheimliche Schlafwandlertum, den nimmt die Serie bald gefangen.

Bewegliche Moorleichen

Wie bei David Lynch und Terrence Malick, zwei von Refns Vorbildern, liegen Quatsch und Vision ganz nahe beieinander. Diesmal bleibt Refn im Schummerreich der Vision, als blicke er durch alle Verkleidungen und Prätentionen der Städte hindurch und könne zeigen, was sie wirklich sind: Sümpfe des Unglücks, mit Menschen als beweglichen Moorleichen, die allmählich zu begreifen scheinen, dass sie nur noch als Spuk existieren. Den entscheidenden Unterschied zu vorigen Arbeiten könnte Refns Drehbuchpartner gebracht haben: der sehr fleißige amerikanische Comic-Autor Ed Brubaker.

Trotz seines hohen Ausstoßes für die Mainstream-Superhelden-Verlage liefert er schlimmstenfalls Grundsolides, oft Inspiriertes und manchmal absolut Verblüffendes wie die mit Greg Rucka zusammen geschriebene Comicserie„Gotham Central“ über die Polizei im Schatten Batmans. Brubaker erdet Refns Konzepte, er gibt dem Wortkargen ein realistisches Element zurück und schließt die fast surrealen Inszenierungen böser Kräfte wieder mit realen kriminellen Milieus kurz.

Eine andere Welt

13 Stunden dauern die 10 unterschiedlich langen Folgen, und mal sagt Refn, alle zusammen bildeten nur einen langen Spielfilm, dann behauptet er, jede sei ein Film für sich. Die Folgen vier und fünf hatte er denn auch zusammengeklebt und bei den Filmfestspielen von Cannes gezeigt. Jedenfalls sind sie trotz ihres Stilwillens kein Augenfutter: eher eine andere Welt, in die man übertritt. Vielleicht versucht sich Refn ja tatsächlich mal an einem Open-World-Computerspiel.

Verfügbarkeit: Amazon Prime Video, alle Folgen bereits abrufbar