Amanda Palmer in voller Aktion Foto: AP

Feministin, Aktivistin, Bestsellerautorin, aber vor allen Dingen Musikerin: die Sängerin und Pianistin Amanda Palmer von den Dresden Dolls wandelt wieder auf Solopfaden.

Stuttgart - Es sei „nicht leicht gewesen, über Abtreibung, Fehlgeburten, Krebs, Trauer und die düsteren Seiten der Elternschaft zu schreiben“, lässt Amanda Palmer wissen, und ja: man glaubt ihr das gerne bei diesen nicht gerade heiteren Sujets, derer sie sich auf ihrem aktuellen, an diesem Freitag erscheinenden Album „There will be no Intermission“ annimmt. „Therapeutisch und angsteinflößend zugleich“ sei der Schreibprozess für sie gewesen, aber notwendig angesichts der Weltläufte, die sie als „The Rise of global Fascism alongside with the spreading Fire of Metoo“ umreißt.

Das klingt alles deftig, doch zu dieser inhaltlichen Kompromisslosigkeit gesellt sich auch ein anderes Bild. Jenes der fragilen Musikerin Amanda Palmer, die in durchaus femininen Roben auf der Bühne hinter ihrem Klavier sitzt und etwa letztes Jahr beim Maifeld-Derby in Mannheim kichernd die zwanzig Minuten ihren Konzertbeginn aufhaltenden technischen Probleme überspielt hat oder die sich vor einigen Jahren bei einem Konzert im Heidelberger Karlstorbahnhof in niedlichem Deutsch an jene Auslandssemester erinnerte, die sie als Germanistikstudentin in der Stadt am Neckar verbracht hat.

Stolz, aber splitternackt

Andererseits kann sie auch musikalisch ganz anders. Mit stampfendem Gestus und donnernden Tastenanschlag auf ihrem Kurzweil-E-Piano, mit den mächtig bollernden Songs ihrer Band The Dresden Dolls wie dem grandiosen „Half Jack“, mit den rauen Arpeggien ihres Klavierspiels und der bisweilen etwas undamenhaften Art, in der sie sich hinter der Klaviatur gebärdet.

Sinnbildlich wird die nonchalante Art, in der Amanda Palmer feministische Belange keinesfalls im Gegensatz zu stolz gelebter Weiblichkeit begreift, auf dem Cover ihres aktuellen Albums. Mit entschlossen strengem Blick posiert sie dort auf einem Bootspfahl stehend, mit einem in die Höhe gerecktem Schwert in der Hand, ikonisch verklärt einer Jeanne d’Arc oder der Mutter-Heimat-Statue auf den Hügeln der Schlacht von Stalingrad gleich – aber Palmer ist auf dem Cover dabei splitternackt.

Gedacht ist das nicht als erotischer Leckerbissen oder Kaufanreiz. Vermutlich würde vielmehr jedes Plattenlabel der Welt dieses Artwork als abschreckendes Kaufhindernis betrachten und es daher ablehnen, nicht wegen der sinnlichen Anmutung, sondern wegen der Freizügigkeit der Darstellung. Das wiederum kann Amanda Palmer egal sein, denn dieses Album ist – wie der sieben Jahre alte Vorgänger, das künstlerisch sehr überzeugende und übrigens mit einem Platz unter den Billboard-Top-Ten auch kommerziell erfolgreiche „Theatre is evil“ – durch Crowdfunding finanziert, und wie auch beim Vorgänger funktioniert das gut: die Musikerin hat 12 000 Menschen gefunden, die bei der Plattform Patreon Geld für dieses Album gaben. Sie kommen jetzt kostenlos in den Genuss des Albums und erhalten obendrein noch ein ausführliches Begleitbuch.

Auch darin wird’s nicht gerade um Wohlfühlthemen gehen. Denn die 42-jährige gebürtige New Yorkerin hat nicht nur die Sexualität an sich zu einem wichtigen Thema erklärt, die nach eigenen Angaben bisexuelle Frau des britischen Schriftsteller Neil Gaiman ist vielfältig aktiv engagiert im Kampf für Abtreibungsrechte. Ebenfalls bemerkenswert schamfrei widmet sie sich auch elementaren Fragen des Scheiterns an der eigenen Selbstbestimmung: ein äußerst populär gewordener Vortrag von ihr bei der renommierten TED-Konferenz sowie das autobiografisch gefärbte (auch auf Deutsch bei Eichborn erschienene) Buch „The Art of Asking“, das es in die Bestsellerliste der „New York Times“ brachte, erzählen davon.

Das neue Album hat Format

Das letzte Album der Dresden Dolls liegt elf Jahre zurück, die Arbeit des Duos trotz einiger sporadischer Konzerte in den letzten Jahren auf Eis, wenngleich Palmer und der Schlagzeuger Brian Viglione beteuern, dass die Band mitnichten aufgelöst sei. Palmer hat vor zwei Jahren das öffentlich gut wahrgenommenes Album „I can spin a Rainbow“ mit Edward Ka-Spel von den Legendary Pink Dots aufgenommen, eine EP mit Ben Folds veröffentlicht sowie – warum nicht? – ein Album eingespielt, auf dem sie Radiohead-Songs auf der Ukulele covert. Mit „There will be no Intermission“ ist sie jetzt aber wieder ganz bei sich.

Insgesamt zwanzig Tracks präsentiert sie darauf, zehn zu teils elf Minuten Länge ausufernde Songs, die von ebenso vielen kurzen Interludien unterbrochen werden, mal nur zwanzig Sekunden, mal zwei Minuten lang. Über allem thront ihre ausnehmend schöne, kraftvolle, teils energische, teils barmenden Singstimme. Instrumental dominiert ihr zwischen süßem Harmoniespiel und energischer Melodieführung changierendes Spiel am Kurzweil-Piano, allerdings längst nicht so puristisch wie bei den Dresden Dolls, sondern ausgeschmückt mit Keyboard und Streicherwürze.

Tolle Alternativepopstücke wie der Sechsminüter „Drowning in the Sound“ sind darunter, reduzierte Ukulelennummern wie „The Thing about Things“, mild zurückgelehntes wie „Machete“, schaurig-schönes in der Dresden Doll’schen Moritatenkabarett-Tradition bis hin zum sanften Abschluss „Death Thing“, bei dem man wie in allen Liedern die durchdachten Arrangements und das sorgfältige Songwriting hört, ohne dass die Texte den Hörer dabei überrumpeln würden.

Ein ohne Einschränkungen vorzügliches Album hat Amanda Palmer vorgelegt, das auch live zu hören man sehr gespannt sein darf. Und zwar schon bald: am 18. September kommt sie bei ihrer Europatournee auch ins Stuttgarter Theaterhaus.