Unten der geschäftige Rathausplatz, hoch droben die verwinkelten Dächer der Esslinger Altstadt: Die Dachterrasse von Christoph Mauz ist eine eigene kleine Welt. Der Esslinger Apotheker lässt auch seine Mieter an dem besonderen Flair teilhaben.
Von seiner Dachterrasse hoch über der ehemaligen Rats-Apotheke am Esslinger Rathausplatz hat Christoph Mauz einen großen Baum im Garten seines Elternhauses unterhalb der Burg immer im Blick: „Da fühlt man sich nah und verbunden“, freut sich der promovierte Apotheker im Ruhestand. Von höheren Häusern umgeben, bietet die Terrasse auf dem Dach des historischen Gebäudes zudem eine interessante Aussicht über die überraschend kleinteilige Dachlandschaft der Altstadt mit ihren Kaminen, Erkern, Balkonen, Regenrinnen und Antennen. Mitten im eng bebauten Stadtzentrum hat der Hausherr hier einen Platz, an dem er den Himmel direkt über sich hat: „Das weitet den Blick.“
Grünpflanzen sucht man auf der Dachterrasse vergebens
Jetzt im Hochsommer knallt die Sonne auf die Dachterrasse. Vor der Benutzung der zum gemütlichen Ausruhen einladenden Hängematte rät Christoph Mauz jedoch zur Vorsicht: „Erst testen, nicht dass der Stoff durch die Sonneneinstrahlung porös geworden ist und durchbricht.“ Die Sommerhitze ist auch ein Grund dafür, weshalb nur ein einzelnes Pflänzchen in einem Kübel mehr schlecht als recht sein Dasein fristet: „Hier oben wird es sehr heiß. Um Grünpflanzen und Blumen müsste man sich ständig kümmern, das macht sehr viel Mühe, das kriege ich nicht hin“, sagt Mauz. Trotzdem ist zwischen den Altstadtdächern ein charmantes Plätzchen mit Flair entstanden: Tisch und Stühle, Biertisch und -bänke, Sonnenschirme, die Hängematte und ein großes Sofa aus Euro-Paletten mit Sitzkissen sorgen für Lounge-Charakter. Ob gemütlicher Mittagsschlaf, entspanntes Chillen nach der Arbeit oder zünftiges Festle am Abend – die Dachterrasse steht nicht nur der Familie Mauz, sondern allen Mieterinnen und Mietern in dem weitläufigen Hauskomplex offen. Das Gebäude ist über 500 Jahre alt und wird in seiner verwinkelten, mehrmals umgebauten Anlage vom Rathausplatz begrenzt und von der Apothekergasse umgeben.
Laut wird es bei den Festen über den Dächern selten
„Ich bin hier oben der Party-Manager“, flachst Christoph Mauz, der auf der mit Holzbohlen und Kunstrasen belegten Dachterrasse nach dem Rechten sieht und abends immer noch eine letzte Runde macht, um die Sitzkissen ins Haus zu holen. „Eigentlich wird’s bei den Festen hier oben nicht laut, man sitzt gemütlich beieinander und trinkt ein Glas oder zwei. Trotzdem warnen wir die Nachbarn bei größeren Partys natürlich vor“, erzählt der Hausherr. Häufig wird gegrillt, manchmal verwöhnt auch einer der Mieter, ein preisgekrönter junger Koch, die gesamte Runde mit Leckereien.
Wenn seine Enkelkinder zu Besuch sind, schleppt Christoph Mauz auf deren Wunsch schon mal einen tragbaren Plattenspieler aus seiner Sammlung nach oben aufs Dach. „‚Opi, hast du eine neue Schallplatte?‘, fragen sie. Meine Enkel lieben die Vinylplatten. Und wenn ich eine alte Platte auflege, ist das Streamen über Bluetooth schnell vergessen“, freut er sich.
„Gestalterisch darf man hier oben übrigens nicht alles machen, das überwacht der Denkmalschutz: Sonnenschirme auf Esslinger Dachterrassen dürfen zum Beispiel nicht allzu bunt sein. Was man mit dem Fernglas von der Burg aus sehen kann, darf nicht zu auffällig sein, um den historischen Gesamteindruck beim Blick von oben auf die Altstadtdächer nicht zu beeinträchtigen.“ Direkt unter der Dachterrasse, die man über die Bühne erreicht, waren früher die Unterrichtslabore, in denen Christoph Mauz’ Vater immer ein halbes Dutzend Pharmazielehrlinge ausgebildet hat – ein Abluftrohr am Rand der Terrasse weist noch darauf hin. Wer übers Geländer schaut, sieht die Oberlichter von Christoph Mauz’ Apotheken-Labor, wo er auch heute noch ab und zu Arzneien kocht: „Wenn Familie oder Freunde Husten haben, wollen sie meinen Hustensaft, und wenn sie zu lange in der Sonne waren, fragen sie nach meiner Anti-Sonnenbrand-Creme mit Zaubernuss.“
Durch die Oberlichter fällt der Blick ins Apotheken-Labor
Auf Augenhöhe mit dem Glockenspiel des Alten Rathauses
Hinter einem winzigen Balkon mit tief stehenden Querstangen, auf denen es sich Tauben und Elstern gerne bequem machen, sieht man auf das Glockenspiel des Alten Rathauses – und sitzt auf der Dachterrasse bei Konzerten in der ersten Reihe. Hier oben, so erzählt der kunstsinnige Christoph Mauz, hat er vor rund 20 Jahren eine Freiluft-Vernissage mit Bildern der renommierten Fotografin Walde Huth organisiert. „Ich habe sie per Zufall in München in der Pinakothek kennengelernt, sie hörte meinen Zungenschlag. Als ich sagte, dass ich aus Esslingen bin, erzählte sie mir, dass sie hier aufgewachsen ist. Später hatten wir immer wieder Kontakt. Sie war von der Dachterrasse als Ort für die Präsentation ihrer Arbeiten total begeistert.“
Die ehemalige Rat-Apotheke am Esslinger Rathausplatz
Haus
Die Gründung der Esslinger Rats-Apotheke reicht ins Jahr 1517 zurück, seit den 1530er Jahren befindet sie sich im weitläufigen Familienbesitz. Gottlieb Mauz, der 1857 die Apotheke übernommen hatte, wurde von Königin Olga damit betraut, nebenan eine eigenständige Homöopathische Zentralapotheke aufzubauen. Erst Mitte der 1950er Jahre wurden die beiden Apotheken vereint. 1986 übernahm Christoph Mauz die Apotheke von seinem Vater. Nach 500-jähriger Tradition musste die Rats-Apotheke 2022 schließen.
Glockenspiel
Auf der Dachterrasse der ehemaligen Esslinger Rats-Apotheke kann man das Glockenspiel auf dem Alten Rathaus bestens hören. Es wurde 1926 in den Dachreiter des ehemaligen städtischen Kauf- und Steuerhauses eingebaut: Gestiftet wurde das Glockenspiel mit seinen damals 24 Glocken übrigens von Esslinger Bürgern – und zwar auf Initiative des Großvaters von Christoph Mauz. Heute ist das mittlerweile auf 29 Glocken erweiterte Glockenspiel täglich fünfmal zu hören und wird regelmäßig live bei Konzerten gespielt.