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Die Deutschen spenden Jahr für Jahr über 750.000 Tonnen Altkleider. Meist im guten Glauben, sie würden damit anderen Menschen helfen. Das aber ist oft nicht der Fall.

Stuttgart - Der Abschied fällt schwer. Der weiße Pullover mit dem Kreuz hat schließlich mal zu den Lieblingsstücken gehört. Passt aber nicht mehr. Also aussortieren. Dazu gesellen sich eine nagelneue Fleece-Jacke, ein Sommerkleid für die modebewusste Dame, ein schwarzes T-Shirt und ein Lauftrikot. Fünf Kleidungsstücke, die auf Reisen gehen sollen. Hin zu einem bedürftigen Menschen irgendwo auf der Welt. Als Spende in der Altkleidersammlung.

Fünf Kleidungsstücke, fünf verschiedene Sammlungen. Drei Textilien, darunter der Lieblingspulli, wandern im August in unterschiedliche Container in Stuttgart. Eine landet in einem blauen Plastikkörbchen, das eines Morgens vor der Haustür steht. Das letzte Stück beginnt die Reise in einer Plastiktüte am Straßenrand, nachdem ein Flugblatt dafür geworben hat.

Verschenkt wird nahezu nichts

Der Altkleidermarkt ist trotz Ebay und Flohmärkten in Deutschland eine gigantische Branche. Über 750 000 Tonnen Bekleidung werden jedes Jahr gespendet. Manches geht direkt an Kleiderkammern wohltätiger Organisationen, der allergrößte Teil landet aber in Containern oder Säcken vor dem Haus. Die alten Besitzer wollen, dass ihre guten Stücke getragen werden – von Bedürftigen. Das Experiment zeigt, dass dies auch tatsächlich so kommt – allerdings oftmals ganz anders als gedacht. Denn verschenkt wird nahezu nichts.

„Wir sammeln für Afrika. Es gibt immer noch Menschen, die sich keine neuen Kleider leisten können“, steht auf dem Zettel im Briefkasten. Mit dem in der Hand geht es nach Bad Cannstatt. Die Firma T. S. Gebrauchtwaren hat dort in einer Sackgasse ihren Sitz. So ist es zumindest auf dem Flugblatt vermerkt. Der Name des Betreibers steht am Briefkasten eines kleinen Häuschens am Rande eines Industriegebiets. Kein Firmenhinweis. An der Klingel findet sich ein anderer Name. Niemand öffnet.

Von Spende keine Spur

Beim Autohändler nebenan kann man helfen. Der Kleidermann sei der Cousin des Chefs. Der Angestellte tippt eine Handynummer ein. Und plötzlich ist der Altkleiderhändler am Telefon. Er wirkt überrascht. „Ich habe meine Firma jetzt in der Nähe von Karlsruhe und mache gewerbliche Sammlungen für Rumänien“, behauptet er. In Stuttgart habe er nur bis Mitte Februar gesammelt. Die letzte Fuhre habe er zusammen mit einem Auto nach Lagos, Nigeria, verschickt. Woher der Zettel aus dem Juli stammt? „Das kann ich mir nicht erklären.“ Kleidungsstück eins, das rot-weiße Sporthemd, dürfte also einen Käufer in Rumänien gefunden haben. Von Spende keine Spur.

„In Deutschland werden alle gespendeten Kleider verkauft“

Das lässt für den einstigen Lieblingspulli nichts Gutes ahnen. Anruf bei der Handynummer, die auf dem Container vermerkt war. „Mein Name ist nicht wichtig“, sagt der Mann am anderen Ende in gebrochenem Deutsch. An besagtem Datum seien die Textilien wohl nach Russland gegangen. Natürlich für Geld. Der „kleine Gewerbetreibende“ beliefert auch Partner in Rumänien, Polen und Afrika. „In Deutschland werden alle gespendeten Kleider verkauft“, bellt er genervt in den Hörer. Sein Container ist illegal aufgestellt.

„Ein Herz für den Osten“ sollten anständige Menschen haben. Auf dem Plastikkorb vor der Haustür stand immerhin klein, dass es sich um eine gewerbliche Sammlung handle. Das Sommerkleid ist, das ergibt die Nachfrage, von einem Sammelunternehmen aus Winnenden abgeholt worden. Das wiederum liefert an eine Firma in Stuttgart-Wangen. Unter der Adresse findet sich ein Fensterbauer. Die freundliche Dame am Empfang findet heraus, dass der Betrieb eine Halle auf dem Gelände angemietet hat. Hingehen kann man nicht. Am Telefon teilt der Geschäftsführer mit, man liefere die Sachen „an einen zertifizierten Betrieb in Rumänien. Karitativ ist das nicht, das sind zwei verschiedene Dinge.“ Spende Nummer drei hängt jetzt in einem Secondhandladen. Bis zum Verkauf werden vier Firmen daran verdienen.

„Sammeln und sortieren kostet Geld“

Das ist an sich nichts Unanständiges. „Die Vorstellung, dass die Sachen kostenlos an die Armen dieser Welt verteilt werden, ist falsch und auch nicht sinnvoll“, sagt Andreas Voget. Er ist Geschäftsführer des Dachverbandes FairWertung, in dem sich mehr als hundert Organisationen zusammengeschlossen haben. In der Branche schätzt man, dass nicht einmal fünf Prozent der Spenden verschenkt werden. Was brauchbar ist, meist knapp die Hälfte, wird verkauft. „Sammeln und sortieren kostet Geld“, sagt Voget, „deshalb ist das in Ordnung.“ Zudem wollten viele Arme nichts geschenkt, sondern günstig kaufen. Am Ende lande die Kleidung so „bei Menschen, die weniger haben als wir“. Entscheidend sei, dass das transparent geschehe und wie der Erlös verwendet werde.

„Es ist nicht verwerflich, mit Altkleidern Geld zu verdienen“, bekräftigt Anton Vaas. Er ist Geschäftsführer der kirchlichen Aktion Hoffnung Rottenburg-Stuttgart. Sie sammelt rund 5000 Tonnen pro Jahr. Ein Zehntel wird von Ehrenamtlichen in Laupheim sortiert, der Rest verkauft. Kleidungsstück Nummer vier hat ebenso wie Nummer fünf, das in einem Container der Malteser gelandet ist, deshalb seinen Weg zur Textilverarbeitung Striebel in Oberschwaben gefunden. Die gehört ebenfalls zu FairWertung und kauft vorwiegend karitativen Organisationen die Kleidung ab, sortiert und verkauft sie weiter nach Osteuropa und Afrika. 120 Menschen arbeiten dort. „Wir können so Jahr für Jahr bis zu 400 000 Euro in wohltätige Projekte stecken“, sagt Vaas. Das sei der Unterschied zu illegalen Sammlern.

Illegale Altkleidersammler machen Ärger

Die bereiten den Organisationen zunehmend Sorgen. „Die machen bundesweit Riesenprobleme“, sagt Voget. Das liegt daran, dass die Nachfrage derzeit hoch ist. So steigen die Preise. Zurzeit können gewerbliche Händler für unsortierte Ware zwischen 20 und 30 Cent pro Kilo erlösen. Karitative Sammler und deutsche Sortierbetriebe schauen in die Röhre. „Das ist schwierig für uns alle“, bekräftigt Simon Striebel, dessen Betrieb rund 53 Tonnen am Tag sortiert. Knapp die Hälfte davon ist noch tragbar, weitere 45 Prozent werden zu Putzlumpen oder Dämmmaterial weiterverarbeitet, zehn Prozent müssen teuer entsorgt werden.

Diese Arbeit sparen sich illegale Sammler gern: „Die stopfen den Schrott einfach den anderen in die Container“, weiß Voget. „Man versucht mit allen Tricks, an die Ware zu kommen.“ Viele Organisationen veröffentlichen die Termine für Sammlungen nicht mehr vorher. „Wenn wir das machen, stellen die Illegalen ihre Körbe raus“, klagt Vaas. Seit 2010 macht die gewerbliche Konkurrenz Druck. Seither ist die Menge bei der Aktion Hoffnung um 15 Prozent geschrumpft.

146 ungenehmigte Container in Stuttgart

Zahlen belegen die Vorwürfe. „In Leipzig hat ein Unternehmen die Stadt mit 300 Containern zugepflastert“, erzählt Voget. Als Krönung versah der illegale Anbieter die Behältnisse mit dem Aufdruck „Genehmigt“. In Stuttgart hat das Ordnungsamt in diesem Jahr bereits 146 ungenehmigte Container von der Straße geholt. Im gesamten vergangenen Jahr waren es 77, 2010 gar nur 24. „Das hat stark zugenommen“, weiß Andrea Kolbe von der Straßenverkehrsbehörde.

Auf die Verantwortlichen warten Geldstrafen – eigentlich. Denn sie lassen sich meist nicht blicken und nur schwer ermitteln. Nur zwei der Container sind in diesem Jahr abgeholt worden. „Offenbar kommt es die Täter billiger, sie einfach bei uns stehen zu lassen“, sagt Andrea Kolbe. Also werden die Behälter von der Stadt verschrottet.

Nur vier Organisationen dürfen in Stuttgart Container aufstellen

Container aufstellen dürfen in der Landeshauptstadt nur vier Organisationen: die Malteser, die Aktion Hoffnung, die Arbeiter-Samariter und die Aktion Friedensdorf. Bei den Sammlungen an der Haustür sieht das anders aus. Dort durfte bis zum Sommer jeder um Kleidung bitten. Das hat sich geändert. Am 1. Juni ist das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz in Kraft getreten. Seither müssen Sammlungen angezeigt werden. Falls es Bedenken gibt, kann die Stadt Verbote aussprechen. Bisher ist das noch nicht passiert.

Doch auch karitative Träger sind nicht frei von Vorwürfen. Oft wird beklagt, die billigen Kleider aus Europa zerstörten die heimische Textilindustrie besonders in Afrika. „Wir stellen uns dieser kritischen Diskussion“, sagt Vaas, „schließlich haben wir als kirchlicher Verein kein Interesse, unsere eigenen entwicklungspolitischen Bemühungen zu konterkarieren.“ Studien hätten ergeben, dass es lokal negative Auswirkungen geben könne. Die würden aber durch Jobs für Händler, Schneider oder Wäscherinnen aufgewogen. Voget spricht von „Wertschöpfungsketten“ – und warnt vor chinesischen Billigprodukten, die ansonsten den afrikanischen Markt überschwemmen könnten.

Die fünf Kleidungsstücke haben ihre lange Reise inzwischen beendet. Sie sind bei neuen Besitzern angekommen, in Rumänien oder Afrika. Alle sind verkauft worden, im Normalfall gleich mehrfach. Zwei davon immerhin für gute Zwecke. Der Lieblingspulli wird in Russland aufgetragen. Der Kleiderschrank ist leerer, die Tasche von manchem illegalen Geschäftemacher deutlich voller.