Weber kommen in Wellen – das alte Handwerk erfährt derzeit wieder einen Zulauf. Wir haben Frauen in der Region getroffen, die professionell weben können, ihre eigenen Produkte verkaufen und erklären, warum weben wieder in ist.
Esslingen/Sindelfingen - „So etwas lernt man nicht im Handarbeitskurs“, sagt Susanne Marx und dreht die Brettchen an der Webvorrichtung eine Viertel Umdrehung weiter. „Manche weben an dem Gerät mit bis zu 100 Brettchen“, sagt sie. Die Wollfäden werden gespannt und durch die Löcher der Holzbrettchen gezogen, am Ende entsteht durch komplizierte Technik ein buntes Muster, etwa zwei bis fünf Zentimeter dick ist diese Art Woll-Gurt mit bunter Musterung. Susanne Marx wechselt zum Tischwebrahmen, und spannt dünne, gelbe Garne aus einem Yakwoll- und Seidenmix für einen Schal auf. „Der soll bis zum Mittelaltermarkt fertig werden.“ Dort verkauft Marx ihre Arbeiten, Auch ein Gewichtswebrahmen steht in ihrem Atelier, der „Fadenwerkstatt“, in der Esslinger Altstadt. Ein Textilstück ist aufgezogen, an dem die 50-Jährige in letzter Zeit für die Schule geübt hat. „Hier kann man Tücher bis zu einer Breite von 1,80 Meter weben“, sagt die geschickte Kunsthandwerkerin.
Im Hauptberuf ist Susanne Marx Fußpflegerin. Seit kurzem macht sie nebenher eine berufsbegleitende Ausbildung zur Textilgestalterin mit Schwerpunkt Weben. Einen Teil der Ausbildungskurse belegt sie am Haus der Handweberei in Sindelfingen. Seit mehr als 150 Jahren gibt es dort eine Webschule, es werden zahlreiche Kurse für Kinder und Erwachsene angeboten, die sich in den letzten Jahren wieder größerer Beliebtheit erfreuen. Heute kann man hier noch Teile der Ausbildung absolvieren, die Gesellenprüfung allerdings muss im norddeutschen Dorf Kukate im Wendland abgelegt werden.
Mangels Auszubildender stand der Beruf vor einigen Jahren vor der Auflösung, Schließlich wurde er umgestaltet und mit anderen Handarbeitsnischen zusammengefasst. Seit 2011 lautet der Titel des Ausbildungsberufs Textilgestalter im Handwerk mit Schwerpunkt Weben. „Berufsbegleitend dauert das etwa drei Jahre. Mir ist das wichtig, das professionell zu lernen, damit kann ich ganz anders auftreten. Ich will das Handwerk richtig können“, sagt Susanne Marx.
„Weben hat immer wieder wellenförmigen Zulauf. In den 80ern gab es einen Aufschwung, so wie heute.“
Maßgeblich ausgebaut hat die berufsbegleitende Ausbildung Ingrid Selig vom Werkhof in Kukate. „Das sind heute unsere meisten Prüflinge. Wir haben bundesweit und auch aus dem Ausland insgesamt alle acht Jahre acht bis zehn Jahre Prüflinge zur Gesellenprüfung. Darüber hinaus gibt es natürlich eine Vielzahl von Webern, denen ein niedrigeres Niveau ausreicht, die also keine Gesellenprüfung machen wollen.“ Weben lernen in einen Ausbildungsbetrieb, das machen laut dem Zentralverband des deutschen Handwerks pro Jahr zwischen drei und acht Personen bundesweit. Ein absoluter Nischenberuf.
Von der Pike auf gelernt hat das Weben auch Ursula Ebel. Sie ist sogar Meisterin im Weberhandwerk und kann einen der großen Jacquardwebstühle im Webereimuseum in Sindelfingen bedienen. Die Jacquardwebstühle gelten als Vorläufer des Computers. Um sie zu bedienen, müssen Muster in Lochkarten eingegeben werden, durch die dann die Fäden gezogen werden. Auch die Lochkarten kann Ursula Ebel herstellen. Als Weberin und Museumspädagogin gibt die 53-Jährige in Sindelfingen Kurse und Workshops. Das Interesse daran hat sich ihrer Meinung nach in den letzten Jahren gewandelt. „Seit 2013 gibt es einen Aufschwung. Das merken wir deutlich. Das kommt immer in Wellen, in den 80ern etwa war das ähnlich.“ Während die Ausbildungskurse vor 2013 alle drei Jahre entfallen mussten, gibt es heute Wartelisten.
Im Haus der Handweberei stehen elf Webstühle, die Teilnehmerzahl ist begrenzt. In den Ferien rennen Kinder und Eltern dem Haus beinahe die Türen ein. „Auch in den Kinderkursen haben wir mehr Anfragen als wir erfüllen können. Die Wartelisten sind lang.“ Warum das Weberhandwerk wieder mehr Zulauf hat, erklärt sich Ursula Ebel so: „Für die Kinder ist das Weben eine Insel ohne Stress. Ein Rückzugsort, in den Kursen ist es still, und es erfüllt die meisten, selbst etwas zu erschaffen. Ich glaube, das ist auch der Grund für das gestiegene Interesse bei den er Erwachsenen.“
Geprüft wird nur noch in Norddeutschland
Ähnlich sieht das Ingrid Sigel aus Norddeutschland. „Einen Boom erlebte das Weben in den 70ern und 80ern, als die Aussteiger und Ökos ihre Aussiedlerhöfe hatten und man zurück zur Ursprünglichkeit wollte, da haben viele das Weben gelernt. Seit zwei bis drei Jahren ist das ähnlich. wie damals. Die Leute wollen wieder etwa Sinnliches machen.“ Auch die Kurse an ihrem Werkhof seinen überbucht, erzählt sie. „Wir bieten etwa 15 Webkurse im Jahr an. So, wie die Nachfrage derzeit ist, könnten wir doppelt so viele füllen“, sagt die Leiterin des Werkhofs in Norddeutschland, wo Gesellen aus Deutschland und dem näheren Ausland ihre Prüfung ablegen.
Trotz der Komplexität empfindet Susanne Marx das Weben als meditativ. Für einen feinen Schal im Fischgratmuster oder Diamantköper braucht sie an die 20 Stunden. „Das bezahlt einem niemand. Der Preis ist meistens nur eine Anerkennung und die Deckung der Materialkosten“, sagt Marx. Dass man genau wirtschaften muss, wenn man mit der Weberei Geld verdienen möchte, weiß auch Simone Mack gut. Ihren ersten Webstuhl hatte die Stuttgarterin schon vor 17 Jahren zuhause stehen. „Weben ist mein Lebenstraum“, so die 48-Jährige. Auch sie gibt Workshops etwa in Kindergärten.“ Außerdem ist sie häufig im Freilichtmuseum Beuren als Schauweberein zu sehen. Im kleinen Laden für handgemachtes Fünfeck in Esslingen werden ihre handgewebten Geschirrtücher, Spüllappen und kleinen Webkunst-Artikel verkauft. Im Keller ihres Wohnhauses in Stuttgart stehen mehrere Webstühle, an denen sie parallel webt. „Ich übertrage alte Webmuster mit besonderen Farbkombinationen und Details in die heutige Zeit. Dabei arbeite ich auch mit anderen Techniken und filze von mir gewebte Stoffe, so entsteht zum Beispiel ein dicker Schal.“ Auch für sie war es wichtig, das Zertifikat der Gesellenprüfung zu haben und sie ließ sich drei Jahre lang zur Weberin ausbilden. „Damit hebt man sich von Hobbywebern ab. Ich verdiene damit schließlich auch ein Einkommen“, sagt die Mutter dreier Söhne. „Die größte Arbeit beim Weben ist die Vorbereitung. Man muss genau planen: wie viel möchte ich weben, wie viel Wolle brauche ich, dann müssen alle Fäden auf gleiche Länge gebracht werden und später muss man Teile gegebenenfalls vernähen. Das ist irre viel Arbeit, bevor man zu weben beginnt. Die Arbeit am Webstuhl ist teilweise deutlich schneller erledigt als der Rest.“ Am meisten mag sie die Ordnung, die dem komplexen Handwerk zugrunde liegt. „Nur ein falsch eingefädelter Faden, kann die ganze Arbeit versauen.“
Handarbeitstechniken erfahren Zulauf durch Paradigmenwechsel
Simone Mack verkauft ihre Produkte auf Märkten in der Region. „Auf Kunsthandwerkerausstellungen bin ich meistens die einzige aus dem Bereich Weben.“
Dass sich mehr Leute für die handgemachten Dinge interessieren erklärt sie sich ebenfalls wie ihre Kolleginnen mit dem langsamen Paradigmenwechsel in der Gesellschaft. „Die Menschen wollen wieder wissen, wo etwas herkommt und sich nicht etwas anziehen, das von unterbezahlten Webern in Bangladesch hergestellt wird.“
Die Meisterweberin Ebel findet, dass sich das Bewusstsein verändert, wenn man etwas selbst ausprobiert. „Früher hat die Herstellung eines Hemdes einen Monat gedauert. Der Wert der Kleidung war daher auch ein ganz anderer. Wichtig ist, dass die Leute nicht unbedingt wissen müssen, wie man einen Knopf annäht, sondern dass man ihnen klar macht, dass es überhaupt geht.“ Das verändere bei vielen die Einstellung zum eigenen Kleiderkonsum.
Anlaufstellen: Susanne Marx, Fadenwerkstatt, Im Heppächer 24, Esslingen, Telefonnummer 01 72/7 11 26 90; suma-echtehandarbeit.de, www.diefadenwerkstatt.de
Simone Mack, www.altes-handwerk-frisch-gewebt.de, Telefonnummer 07 11/3 80 41 95;
Haus der Handweberei, Corbeil-Essonnes-Platz 4, Sindelfingen, Telefonnummer 0 70 31/80 39 06 und 0 70 31/9 43 57, www.haus-der-handweberei.de