Minderjährige Flüchtlinge in einer Einrichtung (Symbolbild). Foto: dpa

Die Sondierer von Berlin wollen Fehler bei der Altersfeststellung von jungen Flüchtlingen auf ein Minimum reduzieren. Das ist richtig, kommt drei Jahre nach dem großen Flüchtlingszustrom aber reichlich spät, meint unser Autor Nils Mayer.

Stuttgart - Bei Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, spielt das Alter eine entscheidende Rolle: Denn wer keine Papiere hat und angibt, alleine und unter 18 Jahre alt zu sein, erhält einen Sonderstatus. Unbegleitete minderjährige Ausländer (Uma) werden vom Jugendamt in Obhut genommen und in einer Jugendhilfeeinrichtung oder einer Pflegefamilie untergebracht. Sie sind zudem sicher vor Abschiebungen. Das Gesetz erlaubt eine Rückführung nur, wenn die Jugendlichen in ihrer Heimat der Familie oder einer Jugendschutzeinrichtung zugeführt werden können. In der Praxis sind Abschiebungen damit unmöglich – ein Freifahrtschein für Kriminelle wie eine kleine Gruppe nordafrikanischer Intensivtäter in Mannheim.

Die Privilegien sind für jene, die tatsächlich jünger als 18 sind und nicht negativ auffallen, durchaus gerechtfertigt. Nur: Wer prüft, ob die Angaben stimmen? Bislang machen das Mitarbeiter der Jugendämter mit einer qualifizierten Inaugenscheinnahme: Das Erscheinungsbild wird bewertet, und es gibt ein Gespräch. Doch das ist alles andere als verlässlich.

Im Südwesten ging ein 36-Jähriger als Uma durch

Ein gutes Beispiel dafür ist der Fall von Hussein K. in Freiburg. Der Afghane steht vor Gericht, weil er eine Studentin vergewaltigt und ermordet haben soll. Bei seiner Einreise im November 2015 gab er an, 16 Jahre alt zu sein. Das Jugendamt glaubte ihm. Dass er falsche Angaben gemacht hat, um Vorteile zu erhalten, ist inzwischen klar. Laut der Aussage seines Vaters ist er 1984 geboren, er wäre somit bei der Einreise bereits 31 Jahre alt gewesen. Ein Einzelfall? Ein Massenphänomen? Die Wahrheit liegt in der Mitte.

Im Zuge einer Überprüfung von 1000 noch nicht vollständig erfassten Uma im Land stellte sich heraus, dass eine Zahl im unteren zweistelligen Bereich falsche Altersangaben gemacht und die Behörden sie einfach übernommen haben. Einige Fälle sind so gravierend, dass es den Jugendämtern peinlich sein müsste. Etwa bei einem 36-Jährigen, der im Südwesten als minderjährig durchging. Das hat mit einem funktionierenden Rechtsstaat nichts zu tun.

Endlich setzt sich der gesunde Menschenverstand durch

Deshalb sind rasche Änderungen bei der Altersfeststellung nötig. Traurig ist auch, dass es erst die Mädchenmorde von Freiburg und Kandel sowie die massiven Probleme in Mannheim brauchte, bis das kindische, überkorrekte Denken durch gesunden Menschenverstand ersetzt wurde. Eine möglichst präzise Altersfeststellung bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern verhindert zwar keine einzige Straftat, sie müsste aber allein schon aus Kosten- und Gerechtigkeitsgründen erfolgen.

Gut ist, dass die Sondierer von Berlin sich verständigt haben, den Jugendämtern die alleinige Verantwortung für die Aufgabe zu entziehen und sie bundeseinheitlich an Ausländerrechtler und Ärzte in Ankunftszentren zu übertragen. Das Alter soll möglichst genau ermittelt werden, bevor die Betroffenen in Obhut genommen werden. Der Vorschlag kommt drei Jahre nach dem großen Flüchtlingszustrom reichlich spät. Aber besser spät als nie.

Beweislastumkehr ist humaner als Zwangsmaßnahmen

Die Frage ist auch, wie der Staat mit Uma umgeht, bei denen Zweifel am Alter bestehen und die eine medizinische Untersuchung verweigern. Das Ausländerrecht erlaubt es schon jetzt, dass dann Handwurzelknochen unter Zwang geröntgt werden können, was jedoch nicht durchgesetzt wird. Sinnvoller und humaner wäre es, in diesen Zweifelsfällen die Beweislast umzukehren, wie es der grüne Tübinger OB Boris Palmer vorschlägt: Wer nicht mitwirkt, wird als volljährig eingestuft.

Dass sich Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand dagegen wehrt, ist ein Zeichen dafür, dass einige der grünen Parteioberen in Sachen Flüchtlingspolitik erst noch erwachsen werden müssen.

nils.mayer@stuttgarter-nachrichten.de