Die Zeiten, da in Deutschland fleißig Erdgas gefördert wurde, sind vorbei. Foto: dapd

Die Zeiten, in denen in Deutschland fleißig Erdgas gefördert wurde, sind vorbei. Die Quellen versiegen. Neue Technologien ermöglichen aber nun, bisher unerschlossene Vorkommen auszubeuten.

Darmstadt/Hannover – Die Zeiten, in denen in Deutschland fleißig Erdgas gefördert wurde, sind vorbei. Die Quellen versiegen. Neue Technologien ermöglichen aber nun, bisher unerschlossene Vorkommen auszubeuten. -

Der aktuelle Erdgas-Lagebericht des niedersächsischen Bergbauamts liest sich wie ein einziger Hilferuf. Um mehr als fünf Prozent ist die Erdgasförderung in Deutschland demnach allein 2011 eingebrochen. Die deutschen Gasquellen, fast alle davon in Niedersachsen, litten unter „zunehmender Erschöpfung“, konstatieren die Experten. Im einzigen deutschen Gasfeld in der Nordsee sackte die Produktion im Jahresverlauf gar um 15 Prozent ab. 22 Bohrlöcher an Land fielen gleich ganz aus.

Darmstadt/Hannover - Der aktuelle Erdgas-Lagebericht des niedersächsischen Bergbauamts liest sich wie ein einziger Hilferuf. Um mehr als fünf Prozent ist die Erdgasförderung in Deutschland demnach allein 2011 eingebrochen. Die deutschen Gasquellen, fast alle davon in Niedersachsen, litten unter „zunehmender Erschöpfung“, konstatieren die Experten. Im einzigen deutschen Gasfeld in der Nordsee sackte die Produktion im Jahresverlauf gar um 15 Prozent ab. 22 Bohrlöcher an Land fielen gleich ganz aus.

Deutschland geht das Gas aus. Allein in den letzten fünf Jahren ist die deutsche Erdgasförderung nach Daten der norddeutschen Behörde um fast 30 Prozent zurückgegangen. Rund 70 Prozent des überhaupt in den Lagerstätten vorhandenen Methans ist in den vergangenen Jahrzehnten bereits aus dem Boden gequetscht worden. Beim derzeitigen Fördertempo gehen in spätestens zehn Jahren die Gasfackeln auf den deutschen Bohrtürmen aus – für immer. Kein Zweifel: Der Gaswirtschaft, die bisher die Versorgung des Landes zu knapp 15 Prozent sichert, läuft die Zeit davon. Die Branche ist alarmiert und sucht nach Auswegen.

Das Aufsprengen von Gesteinsschichten hat enorme Folgen für die Umwelt

Allerdings keimt auch Hoffnung. Sogenannte unkonventionelle Gasvorkommen sind das neue Zauberwort der Branche. „Die Mengen unkonventioneller Vorkommen im deutschen Boden sind erheblich“, sagt Ingo Sass, Geologe an der Technischen Universität Darmstadt. So mancher Kollege sehe schon ein neues goldenes Gas-Zeitalter am Horizont heraufziehen.

Tatsächlich ist die Branche weltweit elektrisiert, seit Begriffe wie Shale oder Tight Gas die Schlagzeilen füllen. Dabei stellen diese unkonventionellen Vorkommen erdgeschichtlich eigentlich den Normalfall dar. Vor Millionen von Jahren setzte sich organische Masse am Grund der Ozeane ab und wurde von Sediment überlagert. Durch chemische Prozesse entstand aus der Biomasse Erdöl und Erdgas. Nur der geringste Teil davon sammelte sich in großen Blasen – den heutigen Öl- und Gasfeldern. Der größere Teil des Gases wurde in kleinen Bläschen im Muttergestein eingeschlossen und von Tausenden Meter Sediment überdeckt.

Diese sogenannten unkonventionellen Vorkommen konnten bis vor etwa einem Jahrzehnt nur unter bestimmten Umständen ausgebeutet werden. Durch neue Explorationstechniken hat sich das aber geändert. Dabei dringen Bohrer erst kilometertief senkrecht in den Erdmantel ein, knicken dann im rechten Winkel ab und fressen sich wiederum kilometerweit waagrecht nach vorne. Danach wird unter hohem Druck eine Flüssigkeit in das Bohrloch gepresst, die das Gestein aufreißt. Feste Bestandteile in der Brühe sorgen dafür, dass die entstandenen Mini-Hohlräume offen bleiben. So kann das in den feinen Poren gebundene Gas entweichen.

In Europa setzt Polen massiv auf die neue Technologie

Vor allem die USA haben diese als Fracking bezeichnete Methode im letzten Jahrzehnt perfektioniert und damit den weltweiten Gasmarkt ordentlich durcheinandergewirbelt. Innerhalb weniger Jahre wurde das Land so von einem der größten Gasimporteure zum Gasexporteur, der mittlerweile mehr Erdgas aus der Tiefe holt als das Gas-Eldorado Russland. Gas ist in den USA durch den Fracking-Boom zu einer Art Billigbrennstoff geworden.

Allerdings sind die Umweltfolgen enorm. Ganze Landstriche in den USA haben sich aufgrund laxer Auflagen in Mondlandschaften verwandelt. Bürger klagen über verunreinigtes Trinkwasser.

In Europa setzt Polen massiv auf die neue Technologie. Und auch in Deutschland ist angesichts steigender Preise und schwindender eigener Ressourcen eine Euphorie um die neuen Vorkommen ausgebrochen. Erst im Juni dieses Jahres veröffentlichte die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) eine Studie, die den unkonventionellen Gasvorkommen großes Potenzial bescheinigte. Demnach schlummern in den Böden zwischen Kiel und Konstanz 700 bis 2300 Milliarden Kubikmeter Schiefergas. Damit übersteigen die unkonventionellen Gasvorkommen herkömmliche Lagerstätten um ein Vielfaches. Normale Erdgasreserven gibt es gerade mal noch 150 Milliarden Kubikmeter. Zum Vergleich: Alle Deutschen zusammen verbrennen jährlich rund 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas.

Die Erwartungen, die mit dem in Ton- oder Schieferschichten gebundenen Brennstoff verbunden sind, sind daher enorm. Es sei möglich, mit unkonventionellen Vorkommen die Rückgänge beim gewöhnlichen Erdgas auszugleichen, sagt Michael Kosinowski, Leiter der Abteilung Grundwasser und Boden bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften. Die Ausbeutung des Schiefergases sieht er als echte Chance. Oft geäußerte Bedenken von Umweltschützern hält er für überzogen. „An den meisten Stellen ist Fracking unbedenklich.“ Außerdem werde im Land in kleinerem Umfang schon seit Jahrzehnten gefrackt. Man müsse im Einzelfall entscheiden.

Allerdings haben die Bohrungen von anno dazumal mit den heutigen unterirdischen Aktivitäten wenig gemein. Die jetzt möglichen kilometerlangen Horizontalbohrungen setzen ganz andere Mengen Gas frei. Damit alles glatt läuft, werden große Mengen Zusatzstoffe – vor allem Salze und Biozide –, in die Bohrlöcher eingebracht. Außerdem wird heute in viel flacheren Tiefen gedrillt. Sensiblen Grundwasserschichten kommt man daher viel näher als früher. Geologe Sass rät daher zur Zurückhaltung. Aufgrund der derzeitigen Hochstimmung überstürzt in die Technologie einzusteigen hält er für problematisch. Erkunden – ja. Großflächige Ausbeutung der Ressourcen zum jetzigen Zeitpunkt – nein, lautet grob gesagt sein Fazit.

Vor allem die Bewertung der eingesetzten Chemikalien macht ihm Kopfzerbrechen. Eine Drucksache des Niedersächsischen Landtags zum Fracking listet mehrere Dutzend chemische Verbindungen auf, die in die Bohrlöcher gepresst werden müssen, damit das Gas entweicht. Darunter erhebliche Mengen Säuren, Methylalkohol und tonnenweise Salze. In ihrer Wechselwirkung mit dem Gestein könne man „etwa 25 Prozent der eingebrachten Stoffe nicht chemikalientechnisch bewerten“, fasst Sass seine Bedenken zusammen.

Insbesondere die These, durch eine weitgehende Verkapselung der Bohrlöcher sei eine Vermischung mit dem Grundwasser ausgeschlossen, hält Sass für Unfug. „Das kann man so nicht behaupten“, sagt er.

Derweil stehen mehrere Konzerne in den Startlöchern, die Schiefergasvorkommen im deutschen Boden auszubeuten. Von den vier deutschen Traditionsdrillern Exxon-Mobil, Wintershall, GdF und RWE/Dea prüfen Exxon und Wintershall den Abbau und haben sich Konzessionen gesichert. Dazu kommen kleinere Explorateure, die sich von der Goldgräberstimmung anstecken lassen.

Ob die Ausbeutung der unkonventionellen Vorkommen in Deutschland ähnliche Ausmaße annimmt wie in den USA oder Polen, ist indes noch unsicher. Bürgerinitiativen haben bereits Proteste angekündigt. Zudem verteuern hohe Genehmigungsauflagen die Projekte. Ob sich das Ganze am Ende lohnt, könne man noch nicht sagen, meint Bergbauexperte Kosinowski.