Die Aussteller der abgesagten Hannover-Messe suchen derzeit nach Alternativen, wie sie sich ihren Kunden präsentieren können. Auch die Messe selbst arbeitet an einer zweitägigen digitalen Veranstaltung, die für Juni geplant ist.
Stuttgart - Wir waren mitten in der heißen Endphase“, sagt Maria Hinrichs, Leiterin Messen & Events beim Technologiekonzern Wittenstein. „Die Messeexponate waren so gut wie fertig“, sagt auch Bernhard Müller, der beim Sensorhersteller Sick den Bereich Industrie 4.0, also die digitale Vernetzung, verantwortet. Anderen Unternehmen ging es ähnlich. Eigentlich sollte die Hannover-Messe, die größte Industriemesse der Welt, am 20. April ihre Pforten öffnen. Dann kam Corona. Anfang März haben die Veranstalter der Hannover-Messe den Termin in den Juli verschoben; Ende März kam die Absage. Die Hannover-Messe fällt 2020 aus – erst im April 2021 soll es das Großereignis wieder geben. Noch nie in ihrer mittlerweile 73-jährigen Geschichte fand die Messe nicht statt. Die Industrieschau teilt das Schicksal in diesem Jahr mit dem Autosalon in Genf, der Mobilfunkmesse in Barcelona und auch der Didacta in Stuttgart.
Auch wenn alle Verständnis für die Entscheidung haben, enttäuscht sind die Aussteller der Hannover Messe dennoch. „Hannover wird für uns in der Messewoche zum zweiten ,Firmensitz’“ – das Lob von Festo für die Veranstaltung könnte kaum größer ausfallen. Die Messe sei die „ideale Plattform“, um mit Kunden und Partnern ins Gespräch zu kommen, sagt die Sprecherin. „Nirgendwo sonst hat man die Chance, seine Innovationen einem so großen internationalen Publikum wie auf der Hannover-Messe vorzustellen“, sagt Matthias Kirchherr, Vertriebschef beim Kabelhersteller Lapp. Immerhin 40 Prozent der Besucher kommen aus dem Ausland. Nicht alle finden so lobende Worte. Bei ZF hält man sich mit Kommentaren zurück. Der Zulieferer hatte lange vor Corona beschlossen, in diesem Jahr nicht an der Industriemesse teilzunehmen. Warum? Das ist nicht zu erfahren. Aber eine Schau in dieser Größe ist eben keine preiswerte Veranstaltung, zumal ja auch schon vor der aktuellen Krise die Konjunktur schwächelte.
Emotionalität bringen nur Liveauftritte
Messen sind Orte, an denen gute Stimmung verbreitet wird. Dort geht es um das Sehen-und-gesehen-Werden – und um Emotionalität. Festo beispielsweise setzt auf spektakuläre Liveauftritte. Regelmäßig ist der Stand überfüllt, wenn der Automatisierungsspezialist seine bionischen Neuentwicklungen vorführt. Im vergangenen Jahr konnten Besucher den Flug eines nachgebauten Flughunds verfolgen. Sie konnten auch eine Roboterhand drücken. Kein Video im Internet liefert ein solches Erlebnis, sagt die Festo-Sprecherin.
Wie gehen die Unternehmen mit der Absage um? Allesamt sind sie auf der Suche nach Alternativen. Schließlich haben „wir viele spannende Themen erarbeitet“, sagt etwa Bernhard Müller vom Sensorhersteller Sick. Wohl alle Aussteller denken über „neue Konzepte“ (Sick) und „über alternative virtuelle und digitale Instrumente“ (Wittenstein) nach, um Kunden zu erreichen. Wörter wie Podcasts, Webcasts oder Webinars (Bosch Rexroth) fallen – also Audio- oder Videoformate, die per Internet ihren Adressanten erreichen. Konkreter werden die Unternehmen nicht. Klar wird aber: „Eine selbst durchgeführte Hausmesse ist nur eine unvollständige Alternative“, sagt etwa die Festo-Sprecherin.
Das Digital-Event der Messe
Auch die Hannover-Messe selbst ist aktiv. Im Juni soll es ein vermutlich zweitägiges Digital-Event geben, wo Themen, die der Industrie auf den Nägeln brennen, diskutiert und technologische Neuerungen präsentiert werden können, erläutert ein Sprecher. Es soll dabei um mögliche Strategien im Umgang mit den von Corona ausgelösten wirtschaftlichen Verwerfungen gehen. Zudem sind Podiumsdiskussionen, Workshops und Chatfunktionen angedacht, sagt der Sprecher. Wie viele Unternehmen sich an diesem virtuellen Messeersatz beteiligen werden, scheint aber noch unklar zu sein. Klar ist aber eines: Eine „virtuelle Messe“ in der man sich als Avatar in den Messehallen bewegt und animierte Stände besuchen kann, soll es auf keinen Fall geben, ist sich der Sprecher der Hannover-Messe sicher.
In Sachen Messeersatz haben die Autohersteller schon mehr Erfahrung gesammelt. Daimler etwa hat – nach der Absage des Genfer Autosalons – die Pressekonferenz in digitaler Form veranstaltet. Das „stellt keine generelle Entscheidung für oder gegen physische oder digitale Formate dar“, sagt eine Sprecherin jetzt. Vielmehr würde im Einzelfall bewertet, welches das adäquate Format sei. Denn das „haptische Produkterlebnis kann dadurch nicht transportiert werden“, sagt die Sprecherin. Auch fehle bei einem virtuellen Termin die „persönliche Komponente“. Daimler geht davon aus, „dass man uns in Genf wiedersieht“, so die Sprecherin. Beim Technologiekonzern Wittenstein sieht man es ähnlich: „Der persönliche Kontakt auf einer Messe ist einfach durch nichts absolut Gleichwertiges zu ersetzen“, sagt Messe-Chefin Hinrichs.
VW hat virtuelle Pläne
VW geht einen Schritt weiter – und hat „alle für Genf geplanten Fahrzeuge sowie den Messestand“ digital aufbereitet. „Das Feedback war bisher hervorragend“, sagt eine VW-Sprecherin. Besucherzahlen sagt sie nicht. Fest steht: Der digitale Messestand ist der Anfang: „Wir arbeiten intensiv an neuen Konzepten für zukünftige innovative Online-Erlebnisse. Wir erwarten, dass virtuelle Realität zukünftig eine wichtige Rolle bei der Außendarstellung der Marke sowie der Interaktion mit Kunden und Fans spielen wird“.