Der Sielminger Paul Schurr war 33 Jahre lang Gemeinderat – erst in Sielmingen, dann in Filderstadt. Er kennt die Geschichte gut. Foto: Holowiecki

Dass Filderstadt heute Filderstadt heißt, ist keine Selbstverständlichkeit. Damit es dazu kommen konnte, haben die Verantwortlichen in den 70er Jahren die Kollegen im heutigen Ostfildern fies ausgetrickst.

Filder - Sie sind sich so ähnlich. Ostfildern und Filderstadt einen nicht nur die Filder im Namen, auch die Geburt beider Städte ist ähnlich gelaufen. Beide Kommunen wurden am 1. Januar 1975 im Zuge der Gemeindereform gegründet. Ostfildern entstand durch den Zusammenschluss der ehemals selbstständigen Gemeinden Nellingen, Ruit, Kemnat und Scharnhausen. Und nur wenige Kilometer entfernt taten sich Bernhausen, Bonlanden, Harthausen, Plattenhardt und Sielmingen zusammen. Zunächst unter dem Namen Filderlinden. Das gefiel dort aber kaum jemandem. „Das fanden manche bäuerlich“, erinnert sich heute Paul Schurr, ein waschechter Sielminger und genau zu dieser Zeit kommissarischer Bürgermeister.

Die Briefbögen und Stempel waren schon fertig

Alsbald gründete sich eine Bürgerinitiative gegen den ungeliebten Namen, die mit großem Engagement Unterschriften sammelte. „Dabei hatten wir schon alles, Stempel und Briefbögen mit Filderlinden“, erzählt der 82-jährige Schurr. Der Protest hatte Erfolg. Am 20. April 1975 stimmten knapp 64 Prozent bei einer Bürgerbefragung parallel zur Kommunalwahl für die Umbenennung in Filderstadt, und dies wurde schließlich am 24. Juli 1975 vom Innenministerium genehmigt, erklärt der Stadtarchivar Nikolaus Back. In der Schwestergemeinde Ostfildern kam das aber überhaupt nicht gut an. Denn die hätte selbst gern so geheißen, hatte den Wunschnamen, den ein Wettbewerb hervorgebracht hatte, aber wieder verworfen. Bei einer Abmachung der Bürgermeister aller ehemals eigenständigen Filder-Gemeinden war nämlich festgelegt worden, dass just dieser Name grundsätzlich auszuklammern sei. „Der Name Filderstadt hätte eine gewisse Priorisierung unterstellt“, erklärt Nikolaus Back. „Alle wollten so heißen“, erinnert sich Paul Schurr.

Und dann dieser Affront! Gerhard Koch, der seinerzeit kurz vor der Einsetzung als Rathauschef im neuen Ostfildern stand, ging auf die Barrikaden und forderte den damaligen Innenminister Karl Schiess in einem Brief auf, seine Zustimmung zur Umbenennung zu verweigern. Er befürchtete eine „dauernde unnötige Belastung“ zwischen den Kommunen, denn „die Einwohner Ostfilderns fühlen sich keineswegs als Vorstadtbürger von Filderstadt“, ist in einem Artikel der Stuttgarter Nachrichten vom 8. August 1975 zu lesen.

Es gab richtig Streit zwischen den Gemeinderäten

Und nicht nur in Ostfildern war der Ärger groß. „Walter Schweizer, der Oberbürgermeister von Leinfelden-Echterdingen, war lang mit mir beleidigt“, erinnert sich Paul Schurr. 33 Jahre war er von 1971 an Gemeinderat, erst in Sielmingen, dann in Filderlinden beziehungsweise -stadt. Er weiß noch genau: „Nach außen ist das kaum gedrungen. Doch es gab richtig Streit unter Gemeinderäten und Bürgermeistern.“ Warum sich das Gremium damals trotzdem für den Namen, der eigentlich tabu war, entschieden hat, erklärt er so: „Der Gemeinderat konnte nach dem Bürgervotum nicht anders.“

Dass alles Bruddeln vergebens war, ist heute – mehr als 40 Jahre später – hinreichend bekannt. Nach den Worten von Christoph Traub, dem aktuellen Filderstädter Rathauschef, kräht kein Hahn mehr danach. Mittlerweile sei die Geschichte allenfalls eine Anekdote, die bei Neubürgerempfängen erzählt werde. „Der Disput und seine Heftigkeit spielen keine Rolle mehr. Im kollegialen Umgang ist das kein Thema – nicht mal im Bereich des Foppens“, beteuert er. Zwar hat Christoph Traub selbst durch „die Gnade der späten Geburt“ nichts mit dem Zwist von damals zu tun; er räumt aber ein, dass die damalige Verwaltung etwas unfair vorgegangen und sehenden Auges in den Konflikt geraten sein. Und auch Paul Schurr bekennt heute: „Das war nicht okay.“

Der Ostfilderner OB kennt die Geschichte nur vom Hörensagen

Christof Bolay, heute Oberbürgermeister der ehemals bestohlenen Kommune Ostfildern, muss über das Ganze herzhaft lachen. Die Geschichte, die weit vor seiner Zeit im Rathaus gespielt hat, kennt er vom Hörensagen. „Über diesen Sturm ist die Geschichte hinweggegangen.“ Heute sei das Verhältnis zu Filderstadt „störungsfrei“ und so gut wie mit den anderen umliegenden Kommunen. Und auch an die Bezeichnung hätten sich alle gewöhnt. Nur ein Bürger, der habe den OB Christof Bolay einmal beiseite genommen und sich abfällig über den Stadtnamen geäußert. „Es meinte, es klingt wie ,Sie verlassen den freien Teil der Fildern‘.“

Der Verwaltungschef kann die Ansicht nicht teilen. Zumal es aus seiner Sicht hätte schlimmer kommen können. Denn unter den Namensvorschlägen in den 70ern seien damals auch Kauderwelsch-Zusammensetzungen aller Dorf-Namen à la Kerunesch gewesen. Ein ähnliches Schicksal hätte im Übrigen auch Filderlinden beziehungsweise -stadt ereilen können. Paul Schurr erinnert sich noch gut an den damaligen Arbeitstitel – Behasi.