Für Demente mit Hinlaufgefährdung fehlen Plätze. Der Heimleiter Helmut Wiedenhöfer in Marbach (Kreis Ludwigsburg) sieht Altenheime damit überfordert.
Das Telefon von Helmut Wiedenhöfer klingelt häufiger, als ihm lieb ist. „Ich bekomme täglich zehn Anrufe von Angehörigen, die einen Platz wollen“, sagt der Leiter des Seniorenstifts Schillerhöhe in Marbach am Neckar. Kein Wunder: das Altenheim genießt einen guten Ruf. Alle Wünsche kann der Heimleiter jedoch nicht erfüllen. Beim Thema Demenz vertritt er eine klare Position: „Menschen mit Hinlaufgefährdung gehören nicht in ein herkömmliches Heim – sie sollten in eine Facheinrichtung“.
Plätze für Demenzkranke, die ständig weglaufen wollen, sind jedoch rar gesät, auch im Landkreis Ludwigsburg. Nach Angaben des Landratsamtes gibt es insgesamt mehr als 11500 Demente – längst nicht alle haben einen derart starken Bewegungsdrang. In den Altenheimen sind etwa drei Viertel der Bewohner dement. Probleme bereiten jedoch nur die Demenzkranken, die ein herausforderndes Verhalten an den Tag legten.
Ausgeprägte Demenz stellt Heimleiter vor Probleme
Schwierig: Nicht jeder Angehörige schafft es, den Erkrankten in einer speziellen Einrichtung wie dem Kleeblatt-Kompetenzzentrum in Freudental mit seinen 30 Plätzen unterzubringen. Das weiß auch Helmut Wiedenhöfer, der gewiss nicht hartherzig sein will, wenn er Anfragen von Angehörigen ablehnt. „Ich habe aber eine Verantwortung gegenüber meinen Bewohnern und frage in den Telefonaten sehr genau nach.“
Die Grenzen der Belastbarkeit sind auf Pflegestationen enger, als man von außen wahrhaben will, erklärt Wiedenhöfer. Bereits ein Hinlaufgefährdeter könne mit seinem Verhalten ein Chaos verursachen, unter dem alle anderen Bewohner leiden. Der Leiter nimmt selbst das Wort „Systemsprenger“ nicht in den Mund, doch schildert er, was alles passieren könne, wenn ein desorientierter Demenzkranker mit seinem Bewegungsdrang in fremde Zimmer laufe, Gebisse in den Mund nehme oder im Extremfall in irgendwelche Ecken uriniere. „Bei einem solchen Dementen muss man oft in Gesprächen schlichten, auch mit den geschädigten Bewohnern und deren Angehörigen.“
Manche Angehörige wollen nicht mehr Geld für Demenz-Einrichtung zahlen
Manchmal entwickele sich eine Demenz erst im Laufe der Zeit zu einer mit einer Hinlaufgefährdung, erzählt Helmut Wiedenhöfer. Heimleiter legten den Angehörigen dann nahe, den Betreuten in eine andere Einrichtung mit geeigneten Räumen zu verlegen. Die Einsicht sei jedoch nicht immer vorhanden, habe er von anderer Seite gehört. „Die Mehrkosten von 500 bis 600 Euro möchten manche nicht zahlen.“ Ausgeprägt Demente sollten aber in Umständen wohnen, die ihnen gerecht werden.
Könnten Altenheime zugunsten dieser Zielgruppe nicht umgebaut werden? Helmut Wiedenhöfer winkt ab. „Solche Umbauten wären in Altenheimen mit einem größeren Gartenbereich theoretisch möglich, aber es reicht nicht, wenn man eine Pflegestation für Demente einfach abschließt – das liefe auf Wegsperren hinaus.“ Große Stücke hält der Heimleiter von der runden Bauweise in den Spezialeinrichtungen: „Der Demente mit seinem Bewegungsdrang läuft im Kreis und stößt nie an ein Ende – außerdem stehen an Stationen unterwegs für ihn Süßigkeiten bereit, um seinen enormen Kalorienbedarf zu decken.“ Dies sei nur ein Baustein eines umfassenden Pflegekonzepts.
Mehr Demente – aber der Fachkräftemangel blockiert Neubauten
Kommen Neubauten infrage? Wiedenhöfer wäre dafür offen. Auf dem Gesundheitscampus des alten Marbacher Klinikgeländes ist ein Pflegeheim mit einer Demenzabteilung vorgesehen, aber es tut sich seit Jahren nichts. Die Bauträger zögern, bei gestiegenen Baukosten ins Risiko zu gehen.
Das größere Problem für die Bauträger sei der leer gefegte Arbeitsmarkt für Altenpfleger, erklärt Wiedenhöfer. Der Fachkräftemangel betreffe ja schon normale Pflegeheime. „Wer Demente betreuen will, braucht die Besten der Besten“, sagt er und sieht massive Probleme auf die Versorgung in den Altenheimenzukommen. So habe er an einer Ausbildungsschule in Ludwigsburg zum großen Teil junge Leute aus Indien gesehen. „Die kulturellen Unterschiede stellen für beide Seiten eine Herausforderung dar.“
Heimleiter zeichnet für Betreuung von Dementen düsteres Bild
Beim Blick in die Zukunft zeichnet Helmut Wiedenhöfer als Kenner der Altenpflegeszene ein düsteres Bild. Zu sehr habe man sich daran gewöhnt, dass der Staat Kapazitäten zur Verfügung stelle, um die Privatpflege zu entlasten. Diese Komfortzone werde die Gesellschaft über kurz oder lang verlassen müssen, ist sich Wiedenhöfer sicher. „Wir werden uns darauf einstellen müssen, mehr im privaten Bereich zu pflegen.“ Oder die Standards für Pflegeheime müssten gesenkt werden. Die Prüfungen der Heimaufsichten seien streng – die Bürokratie binde Kräfte. Und: Würde die Altenpflege besser bezahlt, gäbe es auch mehr Fachkräfte.
Demenz und Pflege im Landkreis Ludwigsburg
Betroffene
Das Landratsamt Ludwigsburg geht davon aus, dass die aktuelle Zahl von rund 11 500 Demenzkranken bis zum Jahr 2030 auf rund 13 000 ansteigen wird. Die Pflegeheime schätzen, dass ihre Bewohner zu 70 Prozent dement seien, teilt das Landratsamt mit. Für schwerere Demenzfälle gibt es – je nach Schweregrad und Ausprägung – verschiedene Angebote.
Pflegeplätze
Für eine Demenz mit Hinlaufgefährdung ist eine begrenzte Zahl von stationären Angeboten vorgesehen: Im Kompetenzzentrum Kleeblatt Freudental gibt es 30 Plätze in einer geschlossenen Abteilung, mit richterlichem Unterbringungsbeschluss. 50 solcher Plätze gibt es auch in homogenen Wohngruppen. Darüber hinaus bestehen 304 Plätze für Demenzkranke in offenen und geschlossenen Wohngruppen.