Richtfest: 1924 baute Gustav Müller an der Ecke Zuffenhauser Straße und Solitudeallee in Korntal eine neue Wäscherei. Mehr Fotos finden Sie in unserer Bildergalerie. Klicken Sie sich durch. Foto: factum/Simon Granville

Die Alte Wäscherei im Stadtteil Korntal von Korntal-Münchingen war eine Institution im Ort. Die Enkelin des Betreibers, Inge Vosseler, erinnert sich. Der neue Eigentümer hat mit dem Areal viel vor.

Korntal-Münchingen - Inge Vosseler war fünf Jahre alt, als ihr Großvater 1955 starb. An Gustav Müller erinnert sie sich kaum, nur: eine „stattliche Person“ sei er gewesen. Umso präsenter ist der 68-Jährigen sein Erbe, das Anfang des Jahres der Abrissbirne zum Opfer fiel: die Alte Wäscherei am Ortseingang von Korntal, an der Ecke Zuffenhauser Straße und Solitudeallee. Beim Abriss stieg Wehmut auf in Inge Vosseler, schließlich habe sie ihre Kindheit zwischen Wäschesäcken verbracht, sagt sie. „Da spielten Emotionen mit. Das Lebenswerk meines Großvaters wurde zerstört.“

Die Alte Wäscherei mit zwei riesigen Schornsteinen von gut 20 und 40 Metern Höhe war bis zum Ende eine Institution: Der Familienbetrieb war einer der größten Arbeitgeber im Ort, in Hochzeiten beschäftigten Gustav Müller – und nach seinem Tod der Sohn und Schlosser Gustav Müller – bis zu 200 Personen, vor allem Frauen. „Viele kamen mit dem Bähnle aus dem Gäu“, sagt Inge Vosseler, die im Wohnhaus nebenan geboren wurde.

Ein Mann mit einer Vision

Vor ihr liegen unzählige Schwarz-Weiß-Fotos, (Werbe-)Broschüren, Bücher. Sie dokumentieren die Arbeit, Anfänge und Bedeutung der Wäscherei. Alles fing 1901 an mit acht Beschäftigten in der Kullenstraße, wo später die Druckerei Pfitzer stand und seit Juni 2016 das Mehrgenerationenhaus ist. Im Jahr 1920 übernahm Gustav Müller den Betrieb, da war er 30.

Ihr Großvater hatte eine „zündende Idee“, erzählt Inge Vosseler, „die Vision, eine Wäscherei in großem Stil aufzubauen.“ Damit die Hausfrau „nicht mehr so viel schaffen“ und die Wäsche mühsam von Hand schrubben müsse. Dies gelang dem Mann, der bis dato Chauffeur war. „Der Beruf erklärt seine Affinität zu Autos“, sagt Inge Vosseler: Zehn Fahrer holten die Wäsche von den Haushalten ab und brachten sie zurück, gewaschen, gebügelt, gemangelt, akkurat zusammengelegt. Auf der Wiese hingen die Hosen, Hemden und Gardinen zum Trocknen.

„Ein Begriff nicht nur für die Hausfrau“

1924 baute Gustav Müller eine neue Wäscherei. Die Strohgäu-Wasserversorgungsanlage wurde erweitert und der Betrieb zu einer modernen Großwäscherei, bekannt selbst in Berlin. Oft führte Gustav Müller die Öffentlichkeit durch seinen Betrieb. In einem Beitrag aus der Broschüre zur Stadterhebung Korntals 1958, in dem sich die Wäscherei vorstellt, ist die Rede von einem „vorbildlichen Betrieb, weit über Stuttgarts Grenzen bekannt, ein Begriff nicht nur für die Hausfrau, sondern auch ein Bahnbrecher im Wäschereiwesen“. Im Großraum Stuttgart gab es nichts Vergleichbares, sagt Inge Vosseler. In den Sommerferien half sie aus.

Um 4 Uhr früh sei der Heizer gekommen, um mit Kohle für Elektrizität zu sorgen. Das Wasser sei enthärtet worden, sodass es kalkfrei war – und die Wäsche „blütenweiß“ aus der Maschine kam. „Laut war es im Betrieb nie“, sagt Inge Vosseler, dafür im Waschraum „warm und feucht“. An die heiße Wäsche aus der Mangel hätten sich ihre Finger rasch gewöhnt. Bei einer Erinnerung grinst Inge Vosseler. „Zwischen den Bergen von Wäschesäcken habe ich Verstecken gespielt.“

NS-Zeit: Unternehmer unter Druck

In der Großwäscherei arbeiteten auch noch zwei Brüder des Großvaters und ihre Frauen. Zu den Kunden zählten Privathaushalte und Unternehmen. Im Zweiten Weltkrieg wusch sie auch „Heereslieferung“, wie Gustav Müller es im Buch zur „Gesundheitsführung“ im Betrieb von 1940 beschreibt. Darin zu sehen ist etwa auch ein Foto, auf dem mit wehenden Hakenkreuzflaggen die Betriebsfahne eingeholt wird. Zudem schreibt Gustav Müller von einer „Bücherei mit nationalsozialistischem Schrifttum“ für die Mitarbeiter.

Laut dem Korntal-Münchinger Stadtarchivar seien damals viele Unternehmer mit dem Strom geschwommen. „Das ist nachvollziehbar, sie standen unter Druck“, sagt Alexander Brunotte. Jedoch sei bei Gustav Müller senior, der unter anderem 1935 der NSDAP beitrat, eine „ideologische Affinität“ vorstellbar. „Es gab zwar keine Verstrickungen in nennenswertem Ausmaß, doch er war involviert, wenngleich nicht in leitender Funktion“, sagt Brunotte. Im August 1946 wurde er laut Akten der Spruchkammer zu einer Geldsühne von 2000 Mark verurteilt. „Das ist nicht wenig“, sagt der Historiker.

Wäscherei Müller war nicht die einzige im Ort

Eine Zeitlang gab es mit Brenner und Mächtlen drei Wäschereien in Korntal. Aber keine existierte so lange wie die von Gustav Müller, sagt Klaus Hilbert. Der Korntaler, der den Senior als „gütigen, herzlichen und beliebten Menschen“ erlebt habe, kennt sich aus mit Wäschereien: Seinem Großvater gehörte Mächtlen, die im Keller des Wohnhauses in der Johannnes-Daur-Straße Privatkunden bediente. Brenners Kunden waren die örtlichen Schülerheime. Doch die Wäscherei Müller habe den Markt beherrscht, sagt Hilbert. Und trotzdem endete die Ära 1968. „Der Betrieb war in Größe und Struktur nicht mehr rentabel“, sagt Inge Vosseler. Das hatte vor allem damit zu tun, dass Ende der 1960er viele Haushalte eine eigene Waschmaschine hatten. Umso dankbarer ist Inge Vosseler für ihre Erinnerungen.

Neues Leben in der Alten Wäscherei

Abrissbirne 50 Jahre lang war die Alte Wäscherei in Korntal an verschiedene Unternehmen vermietet, bevor die Gebäude zu Beginn des Jahres abgerissen wurden. Im Herbst davor wurden bereits die Bäume gefällt. Die Korntaler Bau schafft auf dem Areal Wohnraum für 150 bis 200 Menschen.

Pläne Der Geschäftsführer Thomas Neubauer hofft, dass die Bauarbeiten im Dezember beginnen können. Der Entwurf des Bebauungsplans liegt bis 26. Juli aus. Vorgesehen sind 73 Wohnungen, unter anderem in einem 21 Meter hohen Wohnturm als „Auftaktgebäude“. Die Preise für die Wohnungen liegen im mittleren und gehobenen Segment, sagt Thomas Neubauer. Derzeit führe er Gespräche mit Interessenten für die geplante Gewerbeeinheit.