Gut, aber nicht cool: alt-J aus Leeds Foto: promo

Weil sich Hipster und Nerds heutzutage nicht mehr unterscheiden, dürfen alt-J aus Leeds als die Band der Stunde gelten. Beim Konzert in der Columbiahalle sorgt die Band zwar für ein herrliches musikalisches Durcheinander, hat live den Songs aber nichts hinzuzufügen

Berlin - Der Pop schreibt Schulhoftypologien mit anderen Mitteln fort. Da gibt es die krassen Jungs, die Musik machen, als ob sie den Rock’n’Roll neu erfunden hätten, die so tun, als ob es außer ihnen noch nie etwas gegeben hätte. Typen, die nur auf der Bühne herumstehen müssen, um verdammt cool rüberzukommen und sich dann The Strokes oder The Stone Roses nennen. Und dann gibt es die Streber, die Nerds, die einem mit eigentümlicher Verbissenheit weismachen, dass sie alles kennen, alles wissen, Jungs, deren Musik einem obskuren Experiment aus dem Chemieunterricht gleicht, bei dem alles, was aufzutreiben war, verrührt und erhitzt wird. Wenn solche Schlauköpfe auf der Bühne herumstehen, wirken sie nicht cool, sondern linkisch-schüchtern. Zu dieser Sorte gehören die Jungs aus Leeds, die ihre Band alt-J genannt haben.

Doch weil Nerds und Hipster heutzutage kaum mehr zu unterscheiden sind, dürfen alt-J als die Band der Stunde gelten. Das Konzert am Mittwoch in der Columbiahalle in Berlin ist seit Monaten ausverkauft. Nach zwei sensationellen Alben – „An Awesome Wave“ von 2012 und „This Is All Yours“ von 2014 – glauben die Älteren, in alt-J die neuen Fairport Convention und die Jüngeren, die neuen Radiohead zu erkennen. Beides ist natürlich Quatsch, aber irgendwie auch nicht.

Im roten Nebel beginnt mit einem Synthie-Ostinato und dem Song „Hunger Of The Pine“ das Konzert. Joe Newman erzählt im Falsett vom Verlustschmerz, Keyboarder Gus Unger-Hamilton und Schlagzeuger Thom Green zerhauen die Ode mit R&B-Beats und einem Sample aus Miley Cyrus’ „4x4“ und verwirren einem schon in den ersten Minuten wunderbar die Sinne.

Tatsächlich ist alles möglich in diesem bizarren, eklektizistischen Kunstpop, der mit Folk, Minimal Music, Hip-Hop, Elektro, Pop und Alternative Rock herumexperimentiert. Einen kaum fassbaren, betörend-verstörenden Klangkosmos lassen alt-J in Berlin entstehen. Etwa in „Every Other Freckle“, bei dem ein störrisch-bluesiger Gitarrenriff auf hypnotische Chants, entzückende folkloristische Gesangsharmonien, mal böse brummende, mal ulkig quiekende Synthesizer trifft. Immer wieder verwandeln sich die Songs in atmosphärische Songgebete („Nara“) oder hochempfindliche Lamenti („Tesselate“) .

Und trotzdem: Live können alt-J ihrem Songmaterial nicht wirklich etwas hinzufügen, zu wenig wagen sie sich, die Nummern zu variieren, das Experiment fortzuführen. Weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, das vielschichtige, hochkomplexe Klanggefüge ihrer Songs möglichst eins zu eins zu reproduzieren, sind alt-J als Liveband letztlich eine Enttäuschung.

Besonders merkt man das bei den Nummern, mit denen sich die Bands schon einmal aus Versehen in die Charts verirrt haben – dem verdrehten Smash-Hit „Breezeblocks“ vom Debütalbum und „Left Hand Free“ von der aktuellen Platte: Nummern, in denen die Schlauberger aus Leeds zwar beweisen, das sie auch ein Händchen für deftig-soulige Rock-Grooves, zickige Gitarrenriffs und Nonsens-Texte haben („I tackle weeds just so the moon buggers nibble“), ihnen aber die Lässigkeit fehlt, solche Songs live wirkungsvoll in Szene zu setzen. Da können sie von den coolen Jungs noch einiges abgucken.