Viele jüdische Einwanderer fühlen sich in Israel als Christen – aus Angst vor Übergriffen und Vorurteilen leben sie ihren Glauben hinter verschlossenen Türen. Foto: dapd

Israel: Jüdische Einwanderer fühlen sich als Christen – und haben Angst vor Übergriffen.

Jerusalem - Dank jüdischer Wurzeln wurden sie von Israel als neue Staatsbürger aufgenommen, doch sie fühlen sich nicht als Juden. Zehntausende Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion leben im Judenstaat als Christen. Israel ist das einzige Land im Nahen Osten, in dem die christliche Bevölkerung wächst. Das birgt auch Potenzial für Spannungen.

Vom nahen Ende der Christenheit im Nahen Osten, vor dem eine Synode der Katholischen Kirche im Oktober warnte, merkt Bruder Aristobulos aus Jerusalem nichts. Im Gegenteil: Der griechisch-orthodoxe Priester aus Jerusalem hat kaum genug Zeit für all seine neuen Schäflein und öffnet Kirchen, die seit Israels Staatsgründung 1948 geschlossen waren. Der Vatikan beklagt, dass ein Massenexodus die Kirche im islamischen Umland ausblutet. Christen fliehen vor Diskriminierung und Verfolgung und fallen gezielten Attentaten zum Opfer. Vor hundert Jahren glaubten in der Region noch 20 Prozent der Bewohner an Jesus, heute nur noch knapp fünf Prozent. Einzig in Israel ist der Trend umgekehrt. Im Judenstaat nahm die offizielle Zahl der Christen in den vergangenen 15 Jahren um mehr als 26 Prozent auf mehr als 150.000 zu. "Hinzu kommen Tausende, ja Zehntausende, die nicht registriert sind", sagt Aristobulos. Resultat von Israels Einwanderungspolitik, die der Kirche unbeabsichtigt Aufschwung verlieh.

Bruder Aristobulos ist dieses Weihnachten sichtlich zufrieden: "Man findet unsere Gläubigen inzwischen überall im Land." Als die Sowjetunion in den neunziger Jahren zusammenbrach, öffnete Israel mehr als einer Million Einwanderern seine Tore. Laut Rabbinern ist Jude, wer eine jüdische Mutter hat. Das israelische "Rückkehrgesetz" ist jedoch liberaler: Es erkennt Menschen, die jüdische Großeltern haben, als Juden an und bürgert sie sofort ein. Dank dieses Gesetzes kam vor zehn Jahren auch T., eine 55-jährige Krankenschwester aus der Ukraine, nach Israel. Als Jugendliche sah sie sich als Christin und mochte Juden nicht. "Antisemitismus war Teil meiner Welt", sagt T. "Niemand gab zu, Jude zu sein, außer er war Arzt."

Im Judenstaat führt die doppelte Identität zu zahlreichen Konflikten

Als sie 14 war, schenkte ihre Mutter ihr reinen Wein ein: "Sie sagte mir, dass auch mein Vater Jude war. Ich wusste nicht mehr, wer oder was ich bin." Ihr Vater hatte seine Identität geheim gehalten: "Er änderte in meiner Geburtsurkunde sogar seinen Namen von "Jitzchak" auf "Ivan", um mir in der Zukunft Probleme zu ersparen." Fortan wurde T. von Angst und Zweifeln geplagt. Als sie ihren zukünftigen Ehemann kennenlernte, hielt sie ihre Wurzeln geheim: "Seine Eltern waren gegen unsere Ehe, er nahm es gelassen." T. verdrängte ihr Judentum, bis Anfang der neunziger Jahre die Sowjetunion zusammenbrach. "Wir wurden bitterarm und konnten unsere Kinder nicht zum Studium schicken. 2000 wanderte T. mit Mann, Vater und Tochter aus. Wie die meisten Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion ist auch T. gut integriert: "Ich bin Israeli, bin dem Staat dankbar für alles, was er für mich tat, und werde dieses Land nie verlassen. Innen drin bleibe ich Christin."

Im Judenstaat führt diese doppelte Identität zu Konflikten. Zig eingewanderte Christen wurden für diesen Artikel angesprochen, doch nur T. war zu einem Gespräch bereit. Christliche Gottesdienste finden in jeder israelischen Großstadt statt, meist jedoch hinter verschlossenen Türen. Selbst die selbstbewusste T. will anonym bleiben. Viele Christen halten ihren Glauben aus Angst geheim. "In Israel sind christenfeindliche Vorurteile weit verbreitet", sagt Rabbiner Ron Kronish, Direktor des Interreligiösen Koordinierungsrats. 2000 Jahre kirchlicher Judenhass hätten Narben hinterlassen. Hinzu käme eine zunehmend ausländerfeindliche Tendenz in der Regierung, die in der wachsenden Zahl christlicher Staatsbürger ein Problem sieht: "Viele fürchten, dass man Juden bekehren könnte", sagt Kronish.

Äußerlich leicht erkennbare Christen wie Bruder Goosan Aljanian vom armenischen Patriarchat berichten von Übergriffen durch ultraorthodoxe Juden: "Wir werden angespuckt oder angepöbelt", sagt er und fügt hinzu, dass "unsere jungen Mönche ihnen nie etwas schuldig bleiben". Brennpunkte wie die Altstadt Jerusalems ausgenommen sind Übergriffe gegen Christen aber die Ausnahme. Kronish: "Faktisch haben Christen hier nichts zu befürchten, wenn sie erst einmal Staatsbürger sind."