Marius Müller Westernhagen inszeniert sich auf dem „Alphatier“-Cover als Vampir. Foto: kunstflug

Marius Müller-Westernhagen hat auf dem Album „Alphatier“ das Bockige, Zornige und Mürrische des Rock’n’Roll wiederentdeckt. Die Intensität, mit der der 65-Jährige sich und seine Musiker auf der Platte in Szene setzt, hätte man ihm so nicht unbedingt zugetraut.

Marius Müller-Westernhagen hat auf dem Album „Alphatier“ das Bockige, Zornige und Mürrische des Rock’n’Roll wiederentdeckt. Die Intensität, mit der der 65-Jährige sich und seine Musiker auf der Platte in Szene setzt, hätte man ihm so nicht unbedingt zugetraut.

Stuttgart - Der Song, auf den bei Marius Müller-Westernhagen am Ende immer alles hinausläuft, ist weder die Ode an die Obsessionen namens „Sexy“ noch die Hymne „Freiheit“, sondern ein Lied namens „Mit 18“. Jenes Lied also, mit dem Westernhagen schon 1979, als seine Karriere noch gar nicht richtig begonnen hatte, so treffend die Midlife-Crisis eines Künstlers beschrieb: „Ich will zurück auf die Straße, will wieder singen, nicht schön, sondern geil und laut“, jammerte er damals. Da war er gerade 30 Jahre alt.

Inzwischen ist Marius Müller-Westernhagen 65 Jahre, hat die Midlife-Crisis längst hinter sich. Dieses Kribbeln in den Beinen, dieses Fieber im Kopf, dieses Gefühl, dass es beim Rock’n’Roll um mehr gehen sollte als darum, sich ein süßes, sorgloses Leben zu finanzieren, hat ihn aber wieder gepackt.

Auf „Alphatier“ verwandelt er sich erneut in den Typen, der Sänger in einer Rock’n’Roll-Band sein will, der sich nicht zu schade für eine Rolling-Stones-Kopie ist und der erkannt hat, dass das, was ihm fehlt, eine richtige Dröhnung ist. Um es kurz zu machen, mit „Alphatier“ ist Westernhagen wieder mitten drin in dem musikalischen Manifest, das er Ende der 1970er Jahre in Form der Nummer „Mit 18“ entwarf.

Grimmiges Riffmonster, das sich im Dreck wälzt

Der Bluesrockteufel, der in den letzten Jahren bereits immer wieder durch Westernhagens Liveshows tobte, treibt nun auch auf dem Album sein Unwesen, hat alle Songs angefressen oder gar verschlungen. Das merkt man schon, als einen die Nummer „Hereinspaziert, hereinspaziert“ mit einem zickigen Riff in Empfang nimmt. Es folgt der Titelsong „Alphatier“ – ein grimmiges Riffmonster, das sich im Dreck zu wälzen scheint: „Das Leben ist Leiden, das Leben ist Gier / Zu leben heißt sterben“, klagt Westernhagen.

Der Ex-Schauspieler („Theo gegen den Rest der Welt“) führt auf dem Album damit konsequent fort, was er 2009 mit „Williamsburg“ begonnen hat – nämlich die Abkehr vom Hochglanzpop, an dem er sich zuletzt auf dem Album „Nahaufnahme“ (2005) eher glücklos versucht hatte.

Auf „Williamsburg“ begann er, wieder die Rolle des Mannes von der Straße zu spielen, die besser zum ihm passt. Er klang nun in Songs wie „Wir haben die Schnauze voll“ wie eine altersweise, desillusionierte Version des Sängers, den man von der bis heute unübertroffenen Trilogie „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ (1978), „Sekt oder Selters“ (1980) und „Stinker“ (1981) kennt.

„Alphatier“ reichert Westernhagens Rock’n’Roll-Existenzialismus nun noch mit einer Überdosis Zorn und Zynismus an. Wieder hat er die Platte in New York City mit amerikanischen Musikern aufgenommen. Doch während „Williamsburg“ in Brooklyn entstand, hat er „Alphatier“ in Soho aufgenommen. In einem Studio, in dem auch schon David Bowie Platten eingespielt hat – was Westernhagen nicht ohne Stolz erzählt.

Die Balladen sind der Schwachpunkt

Der Tonfall ist mürrischer, bockiger. Am besten sind die Songs, in denen die Musiker richtig loslegen dürfen – in der knackigen Rock’n’Roll-Nummer „Clown“ oder im Stabreimrocker „Was ich will, bist du“. Am schwächsten ist die Platte, wenn sich Westernhagen an Balladen versucht: „Liebe (um der Freiheit willen)“ gerät zäh, „Engel, ich weiß“ eine Spur zu kitschig.

Und nicht immer können die Lieder mit der Qualität der Inszenierung mithalten. Oft beeindrucken die Gitarrenriffs, die sich ungeniert am Gesamtwerk der Rolling Stones bedienen, die knurrigen Beats, die Soloparts mehr als die eigentlichen Songs, denen oft in den Refrains die Puste ausgeht. Doch wie Westernhagen mal schreit, mal flüstert und sich redlich bemüht, wie ein Bluessänger zu klingen, verdient allen Respekt. Aber wenn man dem „Alphatier“-Titelsong glaubt, ist das sowieso alles egal: „Es gibt keinen Grund, sich zu genieren / Warst du ein Nichts oder genial / So oder so wirst du krepier’n.“