Basteln gemeinsam an der Zukunft von Allianz MTV Stuttgart: Aurel Irion und Kim Renkema Foto: Baumann

Das große Ziel ist erreicht: Die Stuttgarter Volleyballerinnen sind erstmals Meister. Was nichts daran ändert, dass die Herausforderungen für Sportchefin Kim Renkema und Geschäftsführer Aurel Irion groß bleiben.

Stuttgart - Kosten, Kader, Konkurrenten: Auch nach dem Gewinn des ersten DM-Titels wartet auf die Verantwortlichen von Volleyball-Bundesligist Allianz MTV Stuttgart viel Arbeit.

Frau Renkema und Herr Irion, wie haben Sie die Feierlichkeiten nach der ersten Meisterschaft überstanden?

Aurel Irion: Sehr gut. Das Problem ist nur, dass der Alltag längst wieder eingekehrt ist.

Wieso?

Kim Renkema: Wir stehen vor einem personellen Umbruch. Da kann man nicht abwarten, sondern muss selbst agieren. Wir haben vier Tage intensiv gefeiert, das war toll. Aber dann musste es auch genug sein.

Was bleibt von der Feier haften?

Aurel Irion: Es war so schön, dass wir so etwas unbedingt noch mal erleben wollen.

Die Aufmerksamkeit tut gut

Was bedeutet dieser Erfolg für den Verein?

Aurel Irion: Sehr viel. Wir haben mittlerweile eine Sichtbarkeit in Stuttgart und in den Medien erlangt, die für Volleyball alles andere als selbstverständlich ist. Einerseits tut uns diese Aufmerksamkeit sehr gut, andererseits zeigt sie, dass wir zu einem Leuchtturmprojekt in der Stadt geworden sind.

Kim Renkema: Unser Post nach der Meisterschaft ist von 117 000 Leuten angeschaut worden. Das ist für Volleyball-Verhältnisse echt der Wahnsinn. Diese erste Meisterschaft wird immer eine besondere bleiben.

Die Aufgabe ist nun, diesen Titel zu vergolden. Stehen die Sponsoren schon Schlange?

Aurel Irion: Leider nein. Am Ende bleibt es halt doch Volleyball.

Was heißt das?

Aurel Irion: Es gibt keine Schlange. Allerdings sind wir mit vielen unserer Sponsoren in Gesprächen über eine Verlängerung, und die Resonanz ist meistens positiv. Neu ist allerdings schon, dass wir erstmals Anfragen von vier, fünf Unternehmen haben, die möglicherweise bei uns einsteigen wollen. Das gab es bisher noch nie – und ist natürlich schon eine Folge der Meisterschaft.

Das Streben nach Professionalisierung

Was müsste passieren, um sagen zu können, dass sich der Titel bezahlt gemacht hat?

Aurel Irion: Dazu müsste es uns gelingen, den Etat so zu steigern, dass wir in der Lage sind, unsere Strukturen zu professionalisieren. Klar ist: Eine Arbeitsbelastung, wie wir sie zuletzt hatten, überstehen wir vielleicht noch eine Saison. Aber sicher keine zweite. Dazu kommt, logisch, dass eine Meister-Mannschaft natürlich nicht günstiger wird.

Vergangene Saison lag der Umsatz bei rund 1,7 Millionen Euro. Wie müsste sich der Etat entwickeln?

Aurel Irion: Zehn Prozent mehr würden uns gut tun. Das sind keine Summen, die einem Angst machen müssen. Aber es ist schon ein Druck für uns beide da, weiterhin gut zu arbeiten. Und wir dürfen uns, wenn wir Stellen besetzen, keine Fehler erlauben. Wir können niemanden mitschleppen.

Kim Renkema: Als Sportdirektorin muss ich an dieser Stelle einhaken. Ich finde schon, dass wir mittelfristig alles tun müssen, um einen weiteren großen Sponsor zu finden.

Damit mehr Geld ins Team fließen kann?

Kim Renkema: Genau. Volleyball in Deutschland hat sich extrem entwickelt, wir sind nicht mehr dort, wo wir vor fünf Jahren mal waren. Bundesliga-Vereine stehen nun auch im europäischen Fokus. Dieses Niveau zu halten, kostet Geld, und das Niveau zu verbessern, kostet noch mehr. Deshalb müssen wir den Etat steigern. Jahr für Jahr.

Wie lautet das Ziel für nächste Saison?

Kim Renkema: Wir wollen alle drei Titel angreifen – Meisterschaft, Pokal, Supercup.

Gespannt auf die Auslosung

Was ist mit der Champions League?

Kim Renkema: Es ist sehr wichtig, dass wir uns qualifiziert haben, weil wir einige unserer Neuzugänge nur deshalb bekommen. Das Abschneiden in der Königsklasse hängt komplett von der Auslosung ab. Es kann weit gehen. Oder eben auch nicht.

Igor Gorgonzola Novara hat am Samstag die Champions League gewonnen. Zuvor hatte Ihr Team gegen die Italienerinnen im Viertelfinale gut mitgehalten. Wie weit entfernt ist Allianz MTV Stuttgart vom Finale der Königsklasse?

Kim Renkema: Welten. Nicht immer auf dem Feld, denn auch wir haben gute Spielerinnen. Aber auf jeden Fall beim Etat.

Aurel Irion: Letztlich machen einzelne Angreiferinnen den Unterschied aus, die eine Million Euro pro Jahr verdienen. Weit mehr als die Hälfte unseres Jahresumsatzes.

Wie bitter ist es, dass Ihr Team ausgerechnet nach der Meisterschaft auseinanderfällt? Am Ende könnte es sein, dass nur vier Spielerinnen übrig bleiben werden.

Kim Renkema: Es ist natürlich schade, aber im Volleyball die Normalität. Wir wussten, dass wir vor einem Umbruch stehen, unabhängig vom Ausgang der Saison.

Wie weit sind die Planungen?

Kim Renkema: Sehr weit. Uns fehlen nur noch zwei Unterschriften.

Ziel war, ein Team zu bauen, das womöglich noch stärker ist. Wird das gelingen?

Kim Renkema: Ich bin zuversichtlich, dass wir im Außenangriff ein bisschen besser sein werden. Im Zuspiel sind wir dank Neuzugang Kathleen Weiß schon einen Tick stärker. Im Mittelblock müssen wir abwarten, ob wir Molly McCage und Paige Tapp, die in den Vertragsgesprächen leider ein bisschen zu lange gepokert hat, gleichwertig ersetzen können. Aber das wird letztlich nicht der entscheidende Punkt sein.

Sondern?

Kim Renkema: Die Mannschaft muss sich finden, eine Einheit werden, ein Team bilden. Denn gute individuelle Spielerinnen zu haben, ist noch keine Erfolgsgarantie. Das hat zuletzt das Beispiel Dresdner SC gezeigt.

Athanasopoulos sammelt Erfahrung

Der Trainer spielt in diesem Konstrukt eine wichtige Rolle. Statt sich zu erholen, ist Giannis Athanasopoulos den Sommer über als Coach des tschechischen Nationalteams in ganz Europa unterwegs . Ist das ein Problem?

Kim Renkema: Nein. Er ist im positiven Sinne Volleyball-verrückt, macht sowieso nie Pause. Der Vorteil ist jetzt, dass er auf einem anderen Niveau arbeitet, diese Erfahrung wird ihm guttun. Zudem telefonieren wir jeden Tag, besprechen alles. Wir als Verein werden unter der Doppelrolle nicht leiden.

Eine Doppelrolle hat auch Felix Koslowski als Bundestrainer und Coach des SSC Schwerin. Bleibt es dabei?

Kim Renkema: Zumindest bis zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio. Die Mehrheit der Liga hat diesem Modell zugestimmt. Wir haben uns dagegen gestellt, weil es keine gesunde Situation ist. Wir werden das jetzt akzeptieren, aber nach Olympia wieder neu darüber diskutieren.

Im Kampf um die begehrten deutschen Talente hat nun auch Alexander Waibl eine bessere Ausgangsposition: Der Coach des Dresdner SC trainiert in diesem Sommer die B-Nationalmannschaft. Verschärft das die Situation?

Kim Renkema: Ja, aber es ist hinnehmbar, solange wir keine Ausländerbeschränkung in der Bundesliga haben.

Warum?

Kim Renkema: Weil wir immer häufiger feststellen, dass Talente, die in Nachwuchsleistungszentren sind, ohnehin am liebsten meist zu dem Verein zurückgehen, aus dem sie kommen. In dieser Hinsicht machen auch wir mittlerweile sehr gute Arbeit. Richtig wichtig wird das Thema erst wieder, wenn ein Verein eine Mindestanzahl an deutschen Spielerinnen benötigt – eine Ausländerbeschränkung kommt aber frühestens 2024.

Nur noch elf Bundesligisten

Allianz MTV Stuttgart hat eine positive Entwicklung hinter sich. Gilt das auch für die Frauen-Bundesliga?

Aurel Irion: Ja, was das sportliche Niveau angeht. Aber es gibt auch Einschränkungen.

Welche?

Aurel Irion: VCO Berlin wird nächste Saison in der zweiten Liga spielen, damit bleiben nur noch elf Teams übrig, und das ist natürlich grenzwertig. Eine gesunde Bundesliga bräuchte eher 14 als zwölf Vereine – mindestens. Und natürlich einen sportlichen Wettbewerb um Auf- und Abstiege. Wenn der Letzte immer drin bleiben darf, weil niemand nach oben will, fehlt es an Spannung.

Das bedeutet, dass es nächste Saison nur zehn Bundesliga-Heimspiele gibt?

Aurel Irion: Richtig. Auch deshalb ist für uns die Teilnahme an der Champions League so wichtig. Für Vereine, die nicht in die Play-offs kommen, ist die Saison dagegen schon Mitte März beendet. Deshalb möchte ich den Job in Erfurt oder Straubing nicht machen – diesen Modus Sponsoren zu vermitteln, ist alles andere als einfach.

Helfen könnte, einen Liga-Sponsor zu finden. Stattdessen hat die Volleyball-Bundesliga zuletzt eine Potsdamer Augenklinik als neuen Partner vorgestellt. Wie beurteilen Sie die Arbeit der VBL?

Aurel Irion: Richtig gut wäre die Arbeit. wenn ein Liga-Sponsor präsentiert werden könnte. Ich denke, das Produkt ist mittlerweile so gut, dass nun endlich einer gefunden werden sollte.