Die Helfer auf Achse sind mit Hilfsgütern „bewaffnet“ Foto: Julia Raisch

Es ist ein Abenteuer, das zwei Stuttgarter Teams so schnell nicht vergessen werden. Die Allgäu-Orient-Rallye darf getrost als die spektakulärste ihrer Art durchgehen. Die Schrottlauben-Kolonne umschiffte dabei die schlimmsten Krisenherde des Nahen Ostens.

Stuttgart - Stuttgart - Als Julia Raisch aufwacht, traut sie ihren Augen kaum. Die 32-Jährige ist von Panzern umzingelt, als sie aus der zum Bett umfunktionierten Rückbank ihres Audi A6 steigt. Doch die jordanische Armee ist nicht hier, weil sie in Raisch eine Bedrohung sieht, sondern, um sie und die anderen Teilnehmer der zehnten Allgäu-Orient-Rallye zu schützen.

Julia Raisch und ihr Team, die Helfer auf Achse, befinden sich auf der letzten Etappe zum Ziel der Rallye – einem Camp nahe der kleinen Ortschaft Al Zarqua mitten in der Wüste, gerade mal 65 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Dort liefern sich Assads Truppen, die Rebellenarmee und der IS erbitterte Kämpfe. Da die Helfer auf Achse eine Panne hatten, sind sie das letzte der 111 Rallye-Teams, das spät in der Nacht eintrifft. Die Militärpräsenz im Camp hatten die Helfer auf Achse in der Dunkelheit nicht bemerkt.

Einen Tag darauf in Amman, der Hauptstadt Jordaniens, sind Raisch und ihre Mitstreiter nur um eine von vielen Abenteuergeschichten reicher. Das Militär hat das beschädigte der insgesamt drei Fahrzeuge der Helfer auf Achse bis in den Zielort der 21 Tage andauernden Rallye geschleppt.

Die Teams starteten vor drei Wochen in Oberstaufen im Allgäu, durchquerten Rumänien und Bulgarien, die Türkei und Israel – inklusive des Palästinensergebiets. Insgesamt 7000 Kilometer. Am vergangenen Freitag wurden die Abenteurer vom König Jordaniens empfangen. Am Vortag ist der Mobilfunkempfang nach Hause gut. „Hallo, wir sind hier in einer Werkstatt. Unsere Klamotten sind durchgeschwitzt. Wir müssen aufpassen, dass das Wasser nicht kochend heißt wird bei den Temperaturen hier – immerhin 45 Grad Celsius. Der wärmste Tag seit Jahren, sagen die Einheimischen.“

Julia Raisch spricht für ihr ganzes Team – vier Mitglieder aus München und aus Stuttgart und Raischs beste Freundin Stefanie Becker. Sie ist spontan für ihren Freund, Peter Streibel, eingesprungen, der das Team aufgrund eines Bandscheibenvorfalls von Stuttgart aus unterstützte. Streibel geht es nicht ums Gewinnen. Wie wahrscheinlich allen Teilnehmern liegt dem 36-Jährigen vor allem der karitative Gedanke der Ausfahrt am Herzen. „Uns ist wichtig, dass Spendengüter, Gelder und unsere Botschaft dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Darum fahren wir persönlich dorthin“, sagt Streibel, der sonst als Türsteher und Veranstalter arbeitet und Teamkapitän der Helfer auf Achse ist. Angefacht durch die fremdenfeindlichen Pegida-Proteste entschloss sich die Gruppe, in die entgegengesetzte Richtung aktiv zu werden. Den Löwenanteil der Spendengüter machen bei Streibels Team Hörgeräte aus: 300 Stück hat die Firma Lindacher aus Grafenau im Kreis Böblingen den Helfern mit auf den Weg gegeben. Gesamtwert: mehrere hunderttausend Euro.

Am Donnerstagvormittag wurden sie einem Flüchtlingsheim der UNO-Flüchtlingshilfe überreicht, in dem über 80 000 Menschen leben. Ein ergreifender wie erschütternder Augenblick für Julia Raisch. „Wenn man sich da überlegt, dass wir in Deutschland wegen so wenigen Flüchtlingen so einen Aufstand machen . . .“, sagt sie.

Die Helfer auf Achse sind nicht die einzigen mildtätigen Abenteurer aus Stuttgart, die die Reise auf sich genommen haben. Auch das Team von „NahAmRosten“ nimmt den wohltätigen Charakter der Rallye ernst. In Zusammenarbeit mit der Albanienhilfe Weilheim wollen die Rallye-Teilnehmer ein albanisches Kinderheim in Elbasan besuchen und mit Sachspenden versorgen.

Am Ende der Reise geht es für die Fahrer dann mit anderen Verkehrsmitteln in die Heimat zurück. Denn traditionell werden die Fahrzeuge dem jordanischen Volk gespendet. Darum ist der Schätzwert der Autos, die teilnehmen, auch auf 1111 Euro begrenzt. In dieser Preisklasse kann es vorkommen, dass das eine oder andere Auto liegen bleibt. Wie ein Audi, der das Ziel bei einer der Allgäu-Orient-Rallyes zuvor offenbar nicht erreicht hat. „Einer der Werkstattbetreiber, bei denen wir waren, hatte noch ein Autowrack eines ehemaligen Teilnehmers der Rallye im Vorhof stehen“, sagt Raisch am Telefon. Kennzeichen: Stuttgart.

Obwohl gute Taten bei der Allgäu-Orient-Rallye im Vordergrund stehen, geht das Gewinnerteam nicht leer aus. Der Sieger bekommt ein echtes Kamel. Die Helfer auf Achse waren nicht mal in Reichweite des Titels. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so schlimm: „Wir gewinnen, weil wir dann das Kamel auf den Grill werfen und eine große Party für die Rallye-Teams veranstalten“, hatte die Gruppe zuvor noch mit einem Augenzwinkern auf ihrer Internetseite verkündet. Traditionell wird auch der Hauptgewinn von den Gewinnerteams an arme Familien gespendet.