Alkohol verboten: Arbeiter schütten ein Fass mit illegal gebrautem Bier in den Gully. Das Auge des Gesetzes wacht darüber. Foto: Imago

Vor hundert Jahren wurde in den USA der Alkohol verboten. Dies veränderte das Land grundlegend. Allerdings ganz anders, als von den Befürwortern der Prohibition erhofft.

New York - Der Broadway in Manhattan hat schon viele große Feste gesehen, das Ende des Zweiten Weltkriegs etwa, die legendäre Konfetti-Parade für die Apollo-11-Astronauten oder die jährliche Silvesterparty am Times Square. Doch es gab wohl keine Party wie jene, die in den ersten beiden Wochen des Jahres 1920 hier tobte.

In jedem Café und jedem Restaurant floss der Alkohol in Strömen – und rund um die Uhr. Die ganze Stadt wollte sich besaufen, alle Vorräte mussten raus. Denn am 17. Januar 1920 begann die im Rückblick fast 14 Jahre lang währende Trockenzeit in den USA, die als Prohibition in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

An vorderster Front kämpfte ein Frauenverein gegen den Alkohol

Die Bewegung für das Alkoholverbot in Amerika hatte schon rund 50 Jahre zuvor angefangen. Mit dem Wachstum der Städte und den großen Einwanderungswellen nach dem Bürgerkrieg wurde auch der Alkoholkonsum in den Städten zum sichtbaren Problem. Es entstanden überall Bars und Saloons und der grassierende Alkoholismus vor allem unter arbeitenden Männern drohte Familien zu zerstören.

An vorderster Front im Kampf gegen den Alkoholismus standen fortschrittliche Damen, die außer dem Alkoholverbot auch das Wahlrecht für Frauen forderten. Eine der wichtigsten Organisationen in diesem Kampf war die Women’s Christian Temperance Union (Christlicher Frauenbund zur Enthaltsamkeit) mit ihrer Vorkämpferin Carrie Nation. Die Ladys hatten die Strategie, in Bars zu stürmen, die seinerzeit noch keine Frauen duldeten und mit dem Wurf eines Ziegelsteins das Flaschensortiment zu zerstören. Keiner der verdutzten Männer traute sich, etwas gegen sie zu unternehmen.

Während der Prohibition soffen die Amerikaner mehr als je zuvor

Der endgültige Schub, das Gesetz zu verabschieden, kam durch den ersten Weltkrieg. Die Notwendigkeit, die landwirtschaftliche Ernte nicht als Schnaps zu versaufen, lieferte den Prohibitionisten ein wichtiges Argument. Trotzdem waren selbst sie überrascht, als beide Häuser des Parlaments den Gesetzesentwurf mit überwältigender Mehrheit verabschiedeten. So brach Ende des Jahres 1919 eine richtig gehende Panik aus. Wohlhabende Trinker versuchten, Vorräte für ein ganzes Leben aufzukaufen. Vornehme Damen ließen sich durch die Stadt chauffieren und luden den Kofferraum voll.

Die Furcht stellte sich als unbegründet heraus. Wie man heute weiß, wurde während der Prohibition mehr getrunken als je zuvor. In amerikanischen Städten entstanden an jeder Ecke die berühmten Speakeasies, Hinterzimmer und Hinterhof-Kneipen, in denen illegal ausgeschenkt wurde. In Schwarzen-Vierteln wie Harlem wurden die Speakeasies zu Entwicklungslabors des Jazz. Auf dem Land begannen die Bauern „Moonshine“ zu destillieren – jene berüchtigten, hochprozentigen Whiskeys, die schwere körperliche Schäden hinterlassen konnten.

Aus der Karibik floss Rum in rauen Mengen nach Florida

An den US-Grenzen blühte der Schmuggel. So floss aus Haiti, den Bahamas und Kuba in rauen Mengen der Rum in Floridas Kasinos, die durchweg von der Mafia kontrolliert wurde. Die Oberschicht von der Ostküste reiste im Herbst an, überwinterte und schuf so das elegante Miami, das man heute kennt.

Als Franklin D. Roosevelt 1933 zum Präsidenten gewählt wurde, war die Prohibition zu einem Treppenwitz verkommen. Die US-Öffentlichkeit und die Politik waren sich einig, dass man diesen Verfassungszusatz wieder abschaffen muss. Das Experiment eines trockenen Amerika war auf ganzer Linie gescheitert. Am 5. Dezember 1933 beendet der Kongress die Prohibition. Dennoch hatte sie weitreichende Folgen. Zum einen war sie ein Nährboden für die organisierte Kriminalität. Zum anderen beförderte sie die Ausweitung des Polizeiapparates auf die Dimension, die man heute kennt.

Viel gelernt, so fasst etwa die Harvard-Historikerin Lisa McGirr zusammen, hätten die USA aus der Erfahrung nicht. So sei die Kriminalisierung leichter Drogen wie Marihuana und der mit extremem Aufwand und extremer Brutalität geführte Krieg gegen sie ähnlich vergeblich gewesen wie die Prohibition. Erst jetzt bewegt man sich in hin zu einer Entkriminalisierung. Dabei hat man die gesundheitlichen und sozialen Gefahren des Alkohols aus dem Blick verloren. Der spielt bei einem Drittel aller Gewaltverbrechen eine Rolle und ist für zehn Prozent der Todesfälle in Amerika verantwortlich. Für Aufklärung mangelt es jedoch an Geld.

Heute bringen Opioide in den USA jährlich Zehntausende um

Vielleicht ist jedoch die jüngste Drogenepidemie in den USA endlich ein Auslöser für ein Umdenken. Das größte Drogenproblem in den Vereinigten Staaten sind heutzutage völlig legale Schmerzmittel. Mit einer Kriminalisierung kommt man hier nicht weit.

Eine kleine Pille, ein Glas Wasser, einmal schlucken und bald sind die Schmerzen weg. Was so einfach klingt, hat den USA die sogenannte Opioid-Epidemie gebracht, die seit 20 Jahren durchs Land rollt. Durch Tabletten, die Ähnlichkeit mit Opium haben, wurden massenweise Menschen süchtig. Viele steigen auf andere Drogen um, auch auf Heroin.

Die Zahl der US-Drogentoten ging 2018 erstmals seit zwei Jahrzehnten etwas zurück – aber sie liegt immer noch auf immens hohem Niveau. Im Jahr 2018 starben nach vorläufigen Zahlen der US-Gesundheitsbehörde CDC rund 68 600 Menschen an einer Überdosis Drogen. In mehr als zwei Dritteln der Fälle waren Opioide der Auslöser