Der Raki ist vielen Türken mittlerweile zu teuer. Foto: Imago/ /Tunahan Turhan

Die Türkei geht gegen illegalen Schnaps vor. Der Fusel hat das Zeug, Menschen zu töten. 20 000 Flaschen wurden bereits beschlagnahmt. Die Opposition sieht darin ein politisches Spiel.

Istanbul - Die steigende Inflation macht den Türken nicht nur den Alltag schwer, sondern auch das Feiern. Ein Liter Nationalschnaps Raki kostet mittlerweile ein Zehntel des monatlichen Mindestlohnes, mit dem Millionen Türken auskommen müssen. Viele besorgen sich vor der Silvesterparty deshalb schwarz gebrannten Fusel – und riskieren ihr Leben: Fast 90 Menschen sind in den vergangenen Wochen gestorben, nachdem sie illegalen Schnaps mit dem tödlichen Methanol getrunken hatten. Bei einer landesweiten Razzia mit dem Titel „Operation Alkohol“ stellte die Polizei fast 20 000 Flaschen mit gepanschtem Alkohol sicher.

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Nicht Raki, sondern Joghurt als Nationalgetränk

Die Opposition wirft der islamisch-konservativen Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan vor, Alkoholkonsumenten aus ideologischen Gründen in die Illegalität zu treiben. Erdogan wolle die türkische Gesellschaft nach islamischem Vorbild umerziehen. Seit dem Regierungsantritt von Erdogans Partei AKP im Jahr 2002 sei Raki wegen der vielen Steueranhebungen um 2000 Prozent teurer geworden, rechnete die Oppositionspresse ihren Lesern vor. Erdogan, ein frommer Muslim, verkündete schon vor Jahren, nicht Raki sei das Nationalgetränk der Türken, sondern der Joghurtdrink Ayran.

Seine Regierung handelt entsprechend. Schon seit 2014 dürfen Restaurants, Kneipen und Geschäfte keine Schilder mehr mit den Emblemen von Biersorten, Weinen oder Whiskys verwenden. Eine der bekanntesten Basketballmannschaften des Landes, „Efes Pilsen“, musste ihren Namen ändern und nennt sich seitdem „Efes Anadolu“. Nach 22 Uhr darf kein Alkohol mehr verkauft werden.

Rekordmengen an Schnaps beschlagnahmt

Die Regierung weist alle Vorwürfe zurück, doch nährt das Misstrauen ihrer Gegner immer wieder aufs Neue. So verkündete Erdogans Kabinett im April ein dreiwöchiges Verkaufsverbot für Alkohol und begründete das mit der Pandemie – obwohl es zwischen Alkoholkonsum und der Ausbreitung des Coronavirus keinen Zusammenhang gibt. Der Oppositionspolitiker Veli Agbaba sagte damals, Erdogans Regierungspartei AKP gehe es nicht um den Kampf gegen die Pandemie, sondern darum, ins Privatleben der Bürger einzugreifen. Nach heftigen Protesten wurde das Verbot nach kurzer Zeit wieder aufgehoben. Es hatte den Konsum ohnehin eher beflügelt als gebremst, weil sich die Türken in den Tagen vor Inkrafttreten des Alkoholbanns mit großen Mengen Bier, Wein und Schnaps eingedeckt hatten.

Die „Operation Alkohol“ des Innenministeriums hat das Thema nun wieder auf die Tagesordnung gebracht. Aus dem ganzen Land meldeten die Behörden in den vergangenen Tagen Rekordmengen an beschlagnahmtem Schnaps. Gegen mehr als 330 Verdächtige wird ermittelt.

Die Alkoholsteuern sind immens hoch

Erdogan-Gegner glauben, dass die Regierung den Kampf gegen die lebensgefährliche Schwarzbrennerei nutzen will, um ihr politisches Programm voranzubringen. Die Polizeiaktionen richteten sich zwar nicht gegen Alkohol an sich, sondern gegen illegal hergestellten Fusel. Doch der Name „Operation Alkohol“ suggeriere der Bevölkerung, dass es keinen Unterschied zwischen legalem und illegalem Alkohol gebe.

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Auch Agbaba erhebt schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Erdogan finanziere den Staatshaushalt mit Hilfe der hohen Alkoholsteuern, erklärte er. Die Türkei gehöre zu den Ländern mit den höchsten Alkoholpreisen in ganz Europa. Nach Angaben von Experten liegt der Steuersatz auf eine Flasche Raki inzwischen bei 260 Prozent.

Wer in der Türkei Alkohol trinken wolle, aber nicht zu den Reichen gehöre, werde mit den hohen Preisen gezwungen, zu den Schwarzbrennern zu gehen, sagt Agbaba. Inzwischen gebe es schwarz gebrannten Schnaps sogar schon bei Kurierdiensten zu bestellen. Die Regierung weigere sich aber, den einfachsten Weg zur Lösung des Problems zu gehen: nämlich die Alkoholsteuern zu senken. Doch das kommt für Erdogan nicht in Frage.