Die Zahl der Patienten in Stuttgart, die nach Alkoholmissbrauch in die Klinik eingeliefert werden, geht zurück. Dagegen nehmen die Verkehrsunfälle unter Alkoholeinfluss zu.
Stuttgart - Der Konsum von Alkohol ist gesamtgesellschaftlich akzeptiert, wird sogar gerne als Kulturgut angesehen. 96,4 Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren trinken Alkohol. Unbestritten gehen mit dem Konsum von Alkohol aber auch Probleme einher.
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Die gute Nachricht zuerst: Die Zahl der Stuttgarter, die nach exzessivem Alkoholmissbrauch ins Krankenhaus eingeliefert wurden, ist im vergangenen Jahr laut Fallzahlen der Krankenkasse AOK zurückgegangen. Waren es 2013 noch 428 stationäre Behandlungen, zählte die Krankenkasse unter ihren Versicherten im vergangenen Jahr nur noch 412 Einlieferungen.
Auch im Klinikum Stuttgart gehen die Fallzahlen der Alkoholisierten in der Notaufnahme zurück. 2012 wurden noch 1410 alkoholisierte Erwachsene aufgenommen, 2013 waren es 1269 und im vergangenen Jahr nur noch 921. „Das ist natürlich zunächst einmal erfreulich“, sagt Prof. Tobias Schilling, Ärztlicher Direktor der Notaufnahme. Jedoch sei jeder Patient immer noch einer zu viel. Und zwar nicht nur deshalb, weil 20 bis 30 Prozent der alkoholisierten Patienten aggressiv auftreten und auch für die Mitarbeiter der Krankenhäuser eine Gefahr bedeuten. „Wir bekommen in der Notaufnahme mit, wie gefährlich Alkohol sein kann. Die Patienten sind häufig verletzt oder unterkühlt“, sagt Schilling. Dass dabei auch leicht Lebensgefahr drohe, werde von den wenigsten ernst genommen.
Eine Gefahr, in der auch Kinder und Jugendliche schweben, wenn sie ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol machen. Betrachtet man die aktuellen Zahlen der AOK, fällt eine Trendwende unter den Geschlechtern auf: In der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen wurden erstmals mehr Mädchen als Jungen in die Krankenhäuser eingeliefert. Bei den männlichen Jugendlichen gehen die Fallzahlen kontinuierlich zurück. 2013 wurden noch 28 Patienten ins Krankenhaus gebracht, 2014 waren es lediglich zehn junge Männer. Gab es bei den Mädchen 2013 nur neun Fälle von Alkoholmissbrauch, wurden 15 Mädchen im Jahr 2014 wegen ihres Alkoholkonsums im Krankenhaus behandelt. Ein Trend, den auch Dr. Thomas Heigele, Oberarzt in der Pädiatrie des Olgahospitals, bestätigt: „In den vergangenen Jahren hat die Zahl der alkoholisierten Mädchen, die bei uns eingeliefert wurden, zugenommen.“
Die jungen Patienten, die zur Überwachung eine Nacht im Krankenhaus bleiben müssen, bezeichnet Heigele als „schwere Fälle“. Die meisten können bereits nach der Untersuchung wieder in die Obhut ihrer Eltern übergeben werden. Bei den schweren Fällen findet am nächsten Tag ein Gespräch gemeinsam mit den Ärzten und einem Suchtberater statt. Darin werden Eltern und Kind über die Risiken des missbräuchlichen Alkoholkonsums aufgeklärt. „Wenn bei diesem Gespräch klar wird, dass das Kind nicht der Einzige in der Familie ist, der trinkt, können wir auch das Kinderschutzteam unserer Klinik hinzuziehen“, sagt Heigele.
Alkohol am Steuer
Ein betrunkener Autofahrer, geht nicht nur das Risiko ein, seinen Führerschein zu verlieren. Im Jahr 2014 gab es in Stuttgart 34 Schwerverletzte als Folge von Verkehrsunfällen unter Alkoholeinfluss. Die Zahl der Verkehrsunfälle in Stuttgart, bei denen Alkohol eine Rolle spielte, stieg im vergangenen Jahr im Vergleich zum Jahr 2013 von 226 auf 248 Unfälle. Die Gründe für Autofahrer, sich betrunken hinter das Steuer zu setzen, sind laut Polizei vielschichtig. Sie reichen von der Verharmlosung der berauschenden Wirkung, der Beeinflussung durch andere bis hin zu gesellschaftlichen Zwängen.
Trunkenheit am Steuer ist laut Tüv Süd mit 43 Prozent immer noch die häufigste Ursache für eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU). Dabei sind 85 Prozent der Betroffenen männlich und unter 40 Jahre. Der höchste Wert, den die Polizei bei einem Autofahrer in diesem Jahr in der Region Stuttgart gemessen hatte, lag bei 3,2 Promille. Der 49-jährige Ford-Fahrer war im März in Untertürkheim auf ein anderes Auto aufgefahren. Der Fahrer des anderen Autos wurde dabei zum Glück nur leicht verletzt.
Alkohol in der Familie
Nach Schätzungen der Landesstelle für Suchtfragen haben in Baden-Württemberg mindestens 40 000 Kinder zumindest einen alkoholkranken Vater oder eine alkoholkranke Mutter. Die Landesstelle für Suchtfragen und die Krankenkasse Barmer GEK wollen deshalb mit einer gemeinsamen Aktionswoche den Blick darauf lenken, welche Rolle der Alkohol in den Familien spielt. Die Aktionswoche startet von heute an bundesweit. „Eltern sind die wichtigsten Vorbilder, wenn es um den Konsum von Alkohol geht“, sagt Hildegard Arnold, Vorsitzende der Selbsthilfeorganisation Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe Landesverband Württemberg.
Sie spricht aus Erfahrung, denn ihr Vater war alkohol- und tablettensüchtig. Später heiratete sie einen Alkoholiker. „Meine älteste Tochter sagte, dass sie keine schlechte, sondern gar keine Beziehung zu ihrem Vater hatte.“ Halt gab Hildegard Arnold die Selbsthilfegruppe, in der sie als Angehörige wahrgenommen wurde. „Es gibt aber immer noch zu wenig Angebote für Angehörige von Alkoholkranken“, sagt sie.