Die Welt, wie sie Ali Mitgutsch sieht: Der Meister der Wimmelbilder schaut von oben herab und entdeckt wunderbare Details. Foto: dpa

Sie wimmeln und wimmeln und wimmeln. Die Darsteller in Ali Mitgutschs berühmten Bilderbüchern wirken, als nähmen sie die Explosion der Weltbevölkerung mit Optimismus und in bunter Lebendigkeit vorweg. Der Illustrator feiert am 21. August 2015 seinen 80. Geburtstag feiert.

Stuttgart - Sie wimmeln und wimmeln und wimmeln. Die Darsteller in Ali Mitgutschs berühmten Bilderbüchern wirken, als nähmen sie die Entwicklung der Weltbevölkerung mit Optimismus und in bunter Lebendigkeit vorweg. Ja, wir sind bald 7,4 Milliarden Menschen auf der Erde – aber ist nicht Platz für alle?

Der Illustrator, der an diesem Freitag seinen 80. Geburtstag feiert, schafft in seinen Bildern tatsächlich Platz für alle und für alles, auch menschliche Schwächen bringt er mit feiner Ironie unter. Zum Beispiel in dem Mietshaus, in dem sich Zimmer an Zimmer reiht und überall etwas passiert: Eine Frau macht Pfannkuchen, ein Zahnarzt bohrt, eine Alte klopft mit dem Besenstiel gegen die Zimmerdecke, weil die Jungen oben wild zu lauter Musik tanzen.

Seit 1968 zeigt der gebürtig Münchner, der damals mit „Rundherum in meiner Stadt“ das Wimmelbuch erfand, wie man viel und viele auf kleinem Raum unterbringt – und trotzdem eine Mordsgaudi zusammen hat. Inspiriert zu dieser anekdotischen Fülle hat ihn eine Fahrt im Riesenrad auf dem Münchner Jahrmarkt Auer Dult, eine seltene Freude für Ali und seine Schwester, wie er in seinen Kindheitserinnerungen „Herzanzünder“ notierte. Was der Junge aus der Gondel sah, faszinierte ihn. „Es waren Bilder mit vielen Details, es passierte so viel gleichzeitig, die Geschichten gingen nicht aus: Menschen liefen über den Platz, kamen zu Gruppen zusammen, lösten sich wieder auf, Kinder jagten hintereinander her, Karren wurden gezogen, eine Frau sammelte ihren Einkauf vom Pflaster und ein Junge kletterte einen Laternenpfahl hinauf.“

Vieles findet sich in Mitgutschs Bildern wieder

Mit viel Humor und menschlicher Wärme malt Mitgutsch einen Alltag aus, der mit Tücken und Freuden zur Erzählung taugt. Eigene Beobachtungen sind die Quelle des Künstlers, der nie ohne Block und Stift das Haus verlässt. In seinen Wimmelbildern verdichtet Ali Mitgutsch die Fundstücke zu Landschaften voller kleiner Wunder. Diese kann man auch als Gegenwelt zur eigenen Kindheit des Kinderbuchautors lesen, geprägt vom Zweiten Weltkrieg, Hunger, Heimatlosigkeit und bitterer Not. Der geliebte große Bruder fiel in Russland; in den letzten Kriegsjahren musste die Familie wegen der vielen Bombenangriffe die Münchner Wohnung verlassen und Schutz auf dem Land suchen - als ungeliebte Flüchtlinge. Der schüchterne Ali litt unter den Demütigungen der anderen Kinder.

Vieles findet sich in Mitgutschs Bildern wieder, auch das Riesenrad, in dessen oberster Gondel zwei begeisterte Kinder sitzen. „Die Aufsicht auf Dinge und Situationen blieb für mich ein Leben lang ein spannendes Thema: Sie wurde die Perspektive all meiner Wimmelbilder“, sagt der Autor. Rund 70 Bücher sind so entstanden; allein in Deutschland wurden mehr als fünf Millionen Mitgutsch-Bücher verkauft. Die Liebe zum Geschichtenerzählen hat Mitgutsch, der später an der Graphischen Akademie in München studierte, von seiner Mutter. „Sie hüllte uns regelrecht ein mit ihren Worten“, schreibt Mitgutsch – und so sind auch seine Wimmelbücher gemacht: Sie wollen Kinder in die „Gärten der Fantasie“ entführen, wo sie Anregungen selbst weiterspinnen.