Hass und Aggression sind im Internet zu einem großen Problem geworden. Foto: imago images/photothek/Thomas Trutschel

Die Alfred-Landecker-Stiftung hat den Nerv der Zeit getroffen. Sie unterstützt Sozial-Start-ups und Initiativen, die gegen Hass und Radikalisierung im Internet vorgehen.

München - In einem Gespräch mit Andreas Eberhardt fällt der Satz nahezu unvermeidlich. „ Die Zukunft der Demokratie wird im Internet entschieden“, sagt der Gründungsdirektor der Alfred-Landecker-Stiftung. Die fördert Sozial-Start-ups wie Cemas, das Radikalisierungstendenzen im Internet erforscht, Initiativen wie Hate Aid, das Opfer von Hassmails hilft, oder Kooperationen wie Decoding Antisemitism, die Andeutungen entschlüsselt, derer sich moderne Antisemiten auf Internetplattformen bedienen, um unter dem Radar von Strafverfolgern zu bleiben. Die Stiftung mit bemerkenswerter Vorgeschichte existiert in ihrer heutigen Form seit zwei Jahren.

 

Die dunkle Vorgeschichte der Unternehmerfamilie Reimann

2016 ließ die Familie Reimann, deren Urahn die Chemiefirma Benckiser mit aufgebaut hatte, die Verstrickungen des Familienunternehmens mit der Nazidiktatur erforschen. Enthüllt wurden finanzielle Hilfen für die Waffen-SS, Einsatz von Zwangsarbeitern in der eigenen Firma und deren Umbau zum NS-Musterbetrieb. Unter diesem Eindruck wurde 2019 die bestehende „Benckiser-Stiftung Zukunft“ in „Alfred-Landecker-Stiftung“ umbenannt.

Namensgeber ist ein 1942 von Nazis verschleppter und mutmaßlich in Polen ermordeter jüdischer Buchhalter, dessen Geschichte untrennbar mit der der Familie Reimann verbunden ist. Denn seine Tochter war nach dem Krieg mit dem überzeugten Nationalsozialisten Albert Reimann junior liiert und hatte drei Kinder mit ihm. Mit der Verbindung eines überzeugten Nazis mit der Tochter eines ermordeten jüdischen Vaters stand die Unternehmerfamilie damit auf Extremseiten der dunkelsten Zeit deutscher Geschichte.

Ein Inkubator für Lösungsansätze

250 Millionen Euro hat das Familienunternehmen der Stiftung 2019 zum Start überlassen, um noch lebende Holocaust-Opfer zu unterstützen und heutigen Demokratiefeinden die Stirn zu bieten. „Das ermöglicht uns, Organisationen wie Cemas zu fördern und unsere Demokratie im digitalen Zeitalter zu schützen“, erklärt Eberhardt. Die Stiftung verstehe sich als Inkubator für Lösungsansätze, die dem zunehmend digitalen Leben Rechnung tragen. „Sie tun, was eigentlich der Staatsapparat selbst schaffen müsste“, sagt der 60-Jährige zu den vielfältigen Stiftungsprojekten.

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Mit der Unterstützung von Hate Aid zum Beispiel hat die Grünen-Politikerin Renate Künast den Kampf mit Facebook um Beleidigungen und Auskunftspflichten aufgenommen. Der hat nun zu einem wichtigen Sieg am Bundesverfassungsgericht geführt. „Digitale Plattformen wie Facebook benötigen heute dringend ein Demokratie-Update“, findet Eberhardt. Die Gelder der Stiftung sollen bei Hate Aid helfen, die besten Anwälte zu bezahlen, um finanzkräftigen Konzernen juristisch Paroli zu bieten.

Im Internet wird man schnell zur Zielscheibe

Zunächst habe man jemanden ohne Prominentenstatus in einem Musterprozess unterstützen wollen. Aber es habe sich niemand gefunden, was der Stiftungschef als leider nachvollziehbar ansieht. Wer sich öffentlich mache, werde im Internet rasch zur Zielscheibe. „Liberale Stimmen werden aus dem öffentlichen Raum vertrieben“, beobachtet Eberhardt. Das Internet werde so zum rechtsfreien Raum, in dem dann nur noch die Stimmen der Hetzer zu hören seien.

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Wer dort fahndet, sieht sich mit riesigen Datenmengen konfrontiert. Deshalb wird bei einer Kooperation zwischen TU Berlin und dem Londoner King’s College, das die Stiftung fördert, auch der Einsatz Künstlicher Intelligenz erprobt, um Hass erkennende Algorithmen zu trainieren. „Wir wollen mit unseren Projekten eine Landecker-Community aufbauen, die das Potenzial hat, über Ländergrenzen hinweg friedliche und offene Gesellschaften zu fördern, vor allem auch im digitalen Raum“, sagt Eberhardt.

Die bedrohliche Blitzkarriere von Verschwörungsideologien

Scheitern im Einzelfall sei mit einkalkuliert, weil Neues erprobt werde. Wichtig aber sei rasches Handeln. „Vor drei Jahren hätte ich Verschwörungsideologie noch für ein Randthema gehalten“, sagt Eberhardt. Nun stehe sie länderübergreifend im Mittelpunkt bedrohlicher Entwicklungen. Diese Rasanz überfordere staatliche Stellen vielfach noch.

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Die Stiftung will vormachen, wie man Widerstand erfolgreich organisiert, und findet dabei Anklang. So sei Hate Aid rasch eine bei Richtern oder Staatsanwälten geschätzte Anlaufstelle zur digitalen Fortbildung geworden. „Was im Netz seinen Anfang nimmt, hat in den allermeisten Fällen reale Konsequenzen“, sagt Eberhardt über eine Erkenntnis, die auch Strafverfolgern dämmert.

Behörden reagieren zunehmend mit Offenheit

Normalerweise reagierten deutsche Behörden ablehnend, wenn Außenstehende erklären wollten, wie die Welt funktioniere, sagt der 60-Jährige. „Aber es herrscht eine neue Offenheit. Denn zunehmend wird erkannt, wie bedrohlich die Situation ist.“

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Wolle der Staat seine Bürger im Internet wirksam schützen und die Demokratie auch dort verteidigen, müsse erheblich investiert und aufgerüstet werden, um Staatsfeinden im Internet einen Schritt voraus sein. Potenzial dafür gebe es genug in der Zivilgesellschaft, wie das Tun der Stiftung zeige.

Die Ziele der Alfred-Landecker-Stiftung

Vermittler
 Andreas Eberhardt ist Geschäftsführer der Alfred-Landecker-Stiftung, die sich den Lehren aus der Vergangenheit mit Mitteln der Gegenwart stellen will. Vor Stiftungsstart 2019 war der 60-Jährige unter anderem drei Jahre lang Leiter der Berliner Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ und davor als Geschäftsführer des Deutsch-Israelischen Zukunftsforums tätig.

Forschung
 Die Alfred-Landecker-Stiftung lässt auch Radikalisierung im Internet erforschen, an der Verschwörungstheoretiker großen Anteil haben. 86 Prozent aller Deutschen hatten 2021 (2020: 79 Prozent) laut Studie des Digitalverbands Bitkom Kontakt zu solchen Kreisen. Bei mehr als einem Drittel sei das häufig der Fall gewesen. Besonders häufig seien Kontakte zu Verschwörungstheoretikern in sozialen Netzwerken, gefolgt vom Gespräch mit Bekannten, Nachbarn oder Kollegen.