Foto: © Museo Archeologico Nazionale, Neapel

Alexander Demandt, Professor für alte Geschichte in Berlin, geht in einer gewichtigen Biografie der Faszination für Alexander der Große nach.

Mannheim - Alexander Demandt, Professor für alte Geschichte in Berlin, geht in einer gewichtigen Biografie der Faszination für Alexander der Große nach. Der Mann war zu Lebzeiten eine Ikone - daran hat sich bis heute nichts geändert.

Nur elf Jahre brauchte Alexander III., genannt der Große, um ein makedonisches Reich gigantischen Ausmaßes zu schaffen. Von der Adria bis Afghanistan erstreckten sich seine Feldzüge, schätzungsweise zehn Millionen Zeitgenossen waren daran beteiligt. 334 vor Christus brach er auf, nur ein Jahr später besiegte er den Perserkönig Dareios III., 327 überquerte er den Indus, auf beschwerlichen Wegen erreichte er Babylon. Es waren militärische Unternehmungen von seinerzeit ungekanntem Ausmaß; Alexander, der von Aristoteles für Homer und sein Vorbild Achilleus begeistert wurde, führte aber stets Wissenschaftler bei sich. Die Alexander-Feldzüge waren auch eine wissenschaftliche Welteroberung.

Als er 323 vor Christus plötzlich starb, hinterließ er sein Reich ohne geregelte Nachfolge, es zerfiel. Doch schon zu Lebzeiten wurde Alexander zur Legende. Die Diadochen, die untereinander zerstrittenen Nachfolger Alexanders, versuchten, ihn zu kopieren - von der Kopfhaltung bis zum Haarwirbel über der Stirn. Und diese Faszination für Alexander ist über die Jahrhunderte nicht abgerissen. In regelmäßigen Abständen wird sein Leben verfilmt (zuletzt von Oliver Stone), noch bis Februar ist in Mannheim die Ausstellung "Alexander der Große" zu sehen.

Jetzt hat Alexander Demandt, Berliner Professor für Alte Geschichte, ein gewichtiges Alexander-Buch geschrieben: 650 Seiten, 170 davon allein Register, Karten, Literaturverzeichnis. Demandt ist ein ausgewiesener Alexander-Kenner. Er weiß um die nicht mehr zu bewältigende Sekundärliteratur, und wie jeder ordentliche Alexander-Biograf weiß er darüber zu seufzen. Vor allem aber weiß er, dass Legenden tiefere Wirkung hinterlassen als dürre Fakten. Er gibt den Legenden um Alexander und ihren Wirkungen daher umfassend Raum.

Nicht, um diese einfach zu widerlegen, sondern um die Gründe für ihre Wirkmächtigkeit zu entschlüsseln. So ist seine Alexander-Monografie vor allem eine Studie über die suggestive Kraft von Legenden.

Der Leser erfährt dennoch über Alexanders Feldzüge, Taktiken und Lebensumstände; manches lässt Demandt dabei weg, einiges ist im Detail nur für Fachwissenschaftler von Belang. Wer lieber eine nicht weniger kundige wie überaus gut lesbare Einführung zu Alexander sucht, greife zu Wolfgang Wills schmalem Abriss. Wer einen anschaulichen, eher populärwissenschaftlichen Band über die Feldzüge wünscht, wird sich über das Buch von Ruth Sheppard freuen; die Illustrationen sind teilweise zwar etwas kitschig geraten, dafür sind die Karten und Grafiken für das Verständnis der Kriegsgeschehnisse hilfreich.

Alexander Demandt schildert diese Kriegsereignisse auch, sein Augenmerk liegt jedoch woanders: Er behandelt Alexander als welthistorisches Phänomen; treffend nennt er seine Monografie einen "kulturhistorischen Kommentar" zur Legendengeschichte, die Alexander gestiftet hat. Diese ist für Demandt immer "Ideologiegeschichte": Von Anfang an wurde Alexander im Lichte politischer Interessen wahrgenommen. Und es ist in der Tat erstaunlich, wie Demandt schreibt, "wo der Makedone in unserer Bildungslandschaft überall auftaucht. Er ist omnipräsent." Parallel zur den historischen Episoden schildert er deshalb die verschiedenen Versionen der unzähligen Alexander-Legenden, von den Kirchenvätern bis Karl Marx, von Seneca bis Brecht.

Immer schon wurde darüber gestritten, ob der "große Mann" Alexander ein segensreicher Entdecker und Eroberer oder ein planloser Kulturzerstörer und Kolonist war. In Demandts faszinierend materialreichem, klug ausgewogenem Buch ist nachzulesen, in welcher Weise er durch die Zeiten hindurch immer wieder neu zur Legende wurde.