Durch die Erwärmung der Meere werden Hurrikane heftiger. Foto: Nasa

Der „Archikon“-Kongress der Architektenkammer Baden-Württemberg hat sich mit dem Thema Nachhaltigkeit und Bauen beschäftigt

Stuttgart - Nachhaltigkeit ist ein alter Hut. Keine politische Sonntagsrede, die ohne Loblied auf sie auskommt, keine Lippenbekenntnisse aus Lobbyistenmund, die sie nicht bejahen. Und der Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ ist auch schon bald ein halbes Jahrhundert alt. Wenn nun der zweite „Archikon“-Landeskongress der Architektenkammer Baden-Württemberg der Nachhaltigkeit gewidmet war (nach dem Wohnungsbau im vergangenen Jahr), scheint mit der (Um-)Welt wohl doch noch nicht alles zum Besten zu stehen – wofür man auch das Menetekel der Fahrverbote als gewisses Indiz werten könnte.

Der Berufsstand ließ sich von dem scheinbar abgelutschten Thema jedenfalls nicht abschrecken. Rund 1500 Architekten, Vertreter aus Rathäusern, kommunalen Verwaltungen und der Bauwirtschaft versammelten sich am Donnerstag im Kongresszentrum der Stuttgarter Messe, wo Ernst Ulrich von Weizsäcker mit seiner aufrüttelnden Eröffnungsrede jede Illusion raubte, dass seit den Prognosen von 1972 große ökologische Fortschritte erzielt worden seien. Im Gegenteil. Vieles ist seitdem viel schlimmer geworden, sagt der Vizepräsident des Club of Rome und ehemalige Leiter des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie.

Die „leere“ und die „volle“ Welt

Weizsäcker spricht von der früheren „leeren“ und der heutigen „vollen Welt“, nachzulesen auch in dem von ihm 2017 zusammen mit dem schwedischen Umweltpolitiker Anders Wijkman herausgegebenen Folgereport zur „Grenzen“-Studie. Die Weltbevölkerung hat sich in den letzten fünfzig Jahren auf 7,6 Milliarden verdoppelt, ohne dass diese weiterhin ungebremste Zunahme in der heutigen Nachhaltigkeitsdebatte Beachtung findet. Dafür ist die Biodiversität seither extrem zurückgegangen. Nur drei Prozent aller Lebewesen auf der Erde, Menschen inklusive, sind noch Wildtiere. Der Meeresspiegel steigt derweil weltweit an, die Umweltverschmutzung zu Land, zu Wasser und in der Luft schreitet fort – beschleunigt durch die Globalisierung und die „Zerstörungsmechanismen des räuberischen Kapitalismus“, der seit dem Ende des Kalten Krieges die Politik vor sich her treibt. Und da klar ist, dass die Folgen des Klimawandels teuer zu stehen kommen werden, lautet das Rezept: Mehr Wachstum, damit wir das alles bezahlen können! Aus Sicht des Wissenschaftlers sind „unsere Diagnosen richtig, aber unsere Therapien total idiotisch“.

Und was macht der Mensch? Er verschließt die Augen vor dem selbstverschuldeten Elend. Weizsäcker illustriert das mit einer amerikanischen Karikatur, auf der zwei Kinos zu sehen sind. Im einen läuft der Film „An inconvenient Truth“ (Eine unbequeme Wahrheit), im andern „A reassuring Lie“ (Eine beruhigende Lüge), und nur vor dem zweiten hat sich eine lange Schlange gebildet, während die Wahrheit nebenan keinen interessiert. Ähnlich lautet der Befund des Sozialwissenschaftlers Michael Kopatz: Eine Mehrheit der Deutschen ist für einen nachhaltigen Lebensstil, steigt dann aber doch ungerührt in den SUV oder den Flieger.

„Wir reißen ab und reißen ab . . .“

Vor diesem Hintergrund debattierte der „Archikon“-Kongress, was Architektur und Städtebau zur Lösung oder Linderung der Weltkrisen beitragen können. Dass Bauen und Umweltschutz viel miteinander zu tun haben, belegt allein der Umstand, dass ein Viertel der Gesamtenergie in Deutschland für die Beheizung von Gebäuden verwendet wird. Ressourcenschonend, lautet daher das Zauberwort der Stunde, und das gilt nicht nur für den Energieverbrauch. „Wir reißen ab und reißen ab“, kritisiert der Berliner Architekt Tom Kaden – angeblich, weil ältere Gebäude nicht mehr heutigen Standards entsprächen, in Wirklichkeit aber steckt so gut wie immer die Spekulation auf eine höhere Rendite hinter Abriss und Neubau. Kaden setzt sich auch für innovative Bauweisen ein, vor allem das Bauen mit dem nachwachsenden Baustoff Holz. Wenn die Lebensdauer eines Gebäudes heute schon maximal fünfzig Jahre betrage, dann sollten die Häuser wenigstens so gebaut sein, dass alle zu ihrer Errichtung verwendeten Materialien hinterher recycelt werden können, meint die Kölner Architektin Annette Hillebrandt, und was den Flächenverbrauch betrifft, so hilft gegen das Zubetonieren der Landschaft nach Auffassung des Vorarlbergers Dietmar Eberle nur eins: Hohe bauliche Dichte. Der Kongress endete mit einem berufspolitischen Appell: „Ab heute – Archikon 2018 – gibt es kein ‚ja, aber . . .’ mehr!“