Der Stuttgarter LSBTTIQ-Aktivist Joachim Stein, Träger der Staufermedaille, ist im Alter von 63 Jahren gestorben. Foto: Wilhelm Betz

Sein früher Tod trifft die queere Bewegung von Stuttgart hart: Überraschend ist Joachim Stein mit 63 Jahren gestorben. Er zählt zu den Gründern des hiesigen CSD, des Zentrums Weissenburg und des Freien Radios. Zuletzt kämpfte Stein für ein Regenbogenhaus.

Seit Jahrzehnten ist sein Namen in Stuttgart mit dem Kampf für die Rechte von queeren Menschen verbunden. „Sein Wort hatte großes Gewicht in der Community und darüber hinaus“, sagt der CSD-Sprecher Detlef Raasch, „er war streitbar, eckte an, tat alles mit Leidenschaft – und das mit einem sehr großen Herzen.“ Raasch ringt mit den Worten, wenn er über den völlig überraschenden Tod von Joachim Stein spricht, einem Stuttgarter CSD-Aktivisten der ersten Stunde. „Joachim reißt eine Lücke, die wir kaum füllen können“, sagt er.

Bei der Geburtstagsfeier in der Weissenburg fehlte er

Am Sonntag feierte das LSBTTIQ-Zentrum Weissenburg im Heusteigviertel seinen 27. Geburtstag. Joachim Stein, dessen „Baby“ dieser Treff war, fehlte an diesem Tag – sonst war er immer da, auch um Küchendienste zu übernehmen. Telefonisch war der Gründungsvater des Zentrums nicht zu erreichen. Der Vorstand machte sich Sorgen und verständigte die Polizei. Die Beamten fanden den 63-Jährigen leblos in dessen Wohnung. Ein Notarzt brachte ihn in ein Krankenhaus, wo er verstarb.

In seinem Leben hat sich der Diplomverwaltungswirt, der in einem 850-Seelen-Dorf mit zwei Brüdern aufgewachsen ist und über Jahrzehnte als Finanzreferent beim Stadtjugendring tätig war, auf vielen Gebieten dafür eingesetzt, dass alle Menschen gleich behandelt werden, unabhängig von der Herkunft und der sexuellen Orientierung „Früher waren wir Exoten“, sagte Joachim Stein vor knapp einem Jahr bei der Präsentation des Buchs „Buntes Stuttgart“, dessen Teil er war, „mittlerweile sind wir in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Dass sich so viel für die queere Community im positiven Sinne verändert hat, lag mit an diesem unermüdlichen Netzwerker. Sein großer Traum war zuletzt ein Regenbogenhaus für Stuttgart, dessen Realisierung er nicht mehr miterleben wird. Für seine Verdienste hat ihm das Land im Mai 2022 die Staufer-Medaille verliehen.

„Die queere Community ist ganz gut in der Stadt angekommen“

Was für Joachim Stein, der über 40 Jahre lang als Gewerkschafter aktiv war, seit Ende 1989 in queeren Kontexten, ein buntes Stuttgart ausmacht, beschrieb er so: „Menschen aus vielen unterschiedlichen Nationen, mit und ohne Handicap, kleine und große Menschen, arme und reiche, queere und andere leben weitgehend friedlich zusammen.“ Stuttgart brauche „noch mehr Sichtbarkeit des queeren Teils der Stadtgesellschaft“, forderte er. Das Regenbogenhaus könnte zu einem „Ort der ständigen Begegnung“ werden. Die queere Community sei „ganz gut in der Stadt angekommen“, urteilte er: „Wir können politisch mitgestalten, der Gemeinderat hat eine Menge Geld für Beratung im queeren Bereich aufgewendet. Wenn alle Städte im Land solche Möglichkeiten böten, wären wir ganz schön etabliert.“

Die Liste seiner Ehrenämter ist lang: Gründungsvater der Weissenburg, Mitbegründer des schwulen Sommercamps der DGB-Jugend, Mitinitiator des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg, Vorstandsmitglied der Aids-Hilfe Stuttgart, Mitglied im Gleichstellungsbeirat der Stadt Stuttgart, engagiert für die Gedenkstätte Hotel Silber, Mitgründer des Freien Radios Stuttgart. Außerdem war er Mitinitiator des Projekts „Andrej ist anders und Selma liebt Sandra“, einer Studie zur Lage von queeren Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Großraum Stuttgart.“

Stein beschrieb sich als „praktisch, unperfekt, lösungsorientiert“

Für das Buch über das bunte Stuttgart hat sich Joachim Stein selbst so beschrieben: „Pragmatisch, politisch, praktisch, unperfekt, lösungsorientiert.“ Und diese Worte fand er, um Stuttgart zu beschreiben: „Überraschend, geschäftig, offen, unperfekt, bruddelig.“ Als Bürgermeisterin Isabel Fezer ihm im vergangenen Jahr die Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg überreichte, sagte Stein in seiner Dankesrede im Scherz, dass ihn die vielen Lobesreden an eine Trauerveranstaltung erinnerten, es allerdings einen Unterschied gebe: „Ich lebe noch.“ Der frühe Tod eines „Urgesteins der queeren Bewegung von Stuttgart“, sagt CSD-Sprecher Detlef Raasch, sollte zum Anlass genommen werden, „dass wir alles dafür tun, damit sein Vermächtnis fortgesetzt wird“. Mit ganzer Kraft müsse nun das Regenbogenhaus durchgesetzt werden, fordert er.