Diskussion über Rassismus Foto: Lg/F. Iannone

Die Aktionswochen gegen Rassismus haben in Stuttgart mit der Diskussion „Solidarität mit wem?“ begonnen.

Ist allein schon an der Größe des Demonstrationszugs die menschliche Solidarität für eine bestimmte Gruppe ablesbar? Und steckt bereits rassistisches Verhalten dahinter, wenn zu einem anderen Sachverhalt nur vergleichsweise wenige Menschen auf die Straße gehen? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigte sich am Montagabend im Theater Rampe eine Diskussionsrunde mit dem Titel „Solidarität mit wem?“. Es war zugleich die Auftaktveranstaltung der Aktionswochen gegen Rassismus Stuttgart. Bis zum 27. März werden in der Landeshauptstadt rund 90 verschiedene Events in Schulen, für Multiplikatoren und für die Öffentlichkeit angeboten. (Info: aktionswochen-stuttgart.de)

Dass auch in Stuttgart im Juni 2020 Tausende auf die Straße gingen und sich solidarisch mit der Black-Lives-Matter-Bewegung zeigten, ist für Farina Görmar vom Verein Afrokids International vor allem die Folge von „rübergeschwappten Bildern aus Amerika“ gewesen, die aber auch schnell wieder an Wirkung nachgelassen hätten. Auch Naemi Mirene Makiadi, Vertreterin der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, glaubt, dass es „immer nur ein kurzer Hype“ ist und die 10 000 Sympathisanten jener Stuttgarter Großdemo längst wieder andere Dinge im Kopf hätten. Es seien dann „schnell wieder nur 500“, glaubt Makiadi, die weiterhin aktiv und öffentlich auf die systematische Benachteiligung Schwarzer Menschen aufmerksam machen.

„Verfestigter Rassismus in allen Lebenslagen“

Selbst von solchen kleineren Zahlen kann Anne Vogler-Bühler nur träumen. „Uns fehlt absolut die Lobby“, sagt die Vertreterin des Netzwerks Pro Sinti & Roma. Deren Gemeinschaft habe laut Vogler-Bühler mit „sehr verfestigtem Rassismus in allen Lebenslagen“ zu kämpfen. Selbst die drei Todesfälle von Sinti- und Roma-Angehörigen beim rechtsradikalen Anschlag von Hanau im Februar 2020 hätten in der deutschen Öffentlichkeit „keine große Rolle gespielt“. Für Kerim Arpad vom Deutsch-Türkischen Forum ist das alles auch eine Folge davon, dass sich durch das Internet vieles verlagert habe. „Heute klicken viele den ‚Like‘-Button auf ihrem Handy und meinen ernsthaft, sie hätten damit genug Solidarität gezeigt, statt auf die Straße zu gehen“, prangert Kerim Arpad an und kommt zum Schluss: „Wir sind faul geworden.“

Wie kann antirassistische Arbeit in der Gesellschaft aussehen und gelingen, wollen die Moderatoren Aliki Schäfer und Andreas Vogel von ihren vier Gesprächspartnern auf dem Podium, aber auch von den rund 30 Gästen im Publikum und den einer Livesendung zuhörenden Radiohörern mittels Chatverbindung wissen. „Erst wenn ehrliches Interesse vorhanden ist“, sieht Görmar eine Grundvoraussetzung. Dazu zähle vor allem Empathiefähigkeit, die schon früh gelernt und trainiert werden müsse. „Das gehört von Grund auf in die Ausbildung für Lehrer und Pädagogen aufgenommen“, fordert Makiadi.

Einig sind sich praktisch alle, dass Rassismus vor allem ein Machtkonstrukt ist, das privilegierte Gruppen als Legitimation verstünden, andere entweder systematisch auszuschließen oder gar für den eigenen Vorteil zu „versklaven“. Trotzdem oder gerade deshalb ruft Farina Görmar dazu auf, „alte Vorstellungen in die Mottenkiste zu packen“, stattdessen die unterschiedlichen Fähigkeiten eines jeden zu nutzen. Die großen gesellschaftlichen Aufgaben könne man nur „zusammen wuppen“.