Am Hartz-IV-System gibt es immer wieder Kritik. Foto: dpa/Ralf Hirschberger

Abschaffen oder reformieren? Zwei Experten diskutieren in Waiblingen bei einer Armutskonferenz über die Sozialleistung Hartz IV. Die Veranstaltung ist Teil der baden-württembergischen Aktionswoche gegen Armut.

Waiblingen - Armut bedroht alle – weil sie Menschen isoliert und die Gesellschaft dadurch auseinander driftet. „Im Ergebnis gefährdet dies den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, heißt es im Reader zu der Aktionswoche, die momentan von der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg veranstaltet wird. Als armutsgefährdet gilt in der Regel, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens vergleichbarer Haushalte zur Verfügung hat. Im Jahr 2018 waren dies bei alleinstehenden Personen in Baden-Württemberg 1033 Euro im Monat.

Im Rahmen der Aktionswoche tagt an diesem Donnerstag die Armutskonferenz in der Waiblinger Christuskirche zum Thema: „Hartz IV: reformieren oder ersetzen?“ Im vergangenen Juni haben laut der Statistik der Bundesagentur für Arbeit 18 323 Menschen im Rems-Murr-Kreis Hartz IV bezogen. Die Zahlen für den September gehen von 18 134 aus, sind aber vorläufige Hochrechnungen.

Sanktionen sind zu hart

„Die Agenda 2010 hat positive Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt mitverursacht“, sagt Georg Cremer, der ehemalige Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, der bei der Armutskonferenz sprechen wird. So hätten mehr Menschen heute die Chance zu arbeiten – und zwar nicht nur in prekären Beschäftigungsverhältnissen, wie häufig kritisiert werde. „Es gibt heute etwa fünf Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr als Mitte der 2000er Jahre“, sagt der Professor für Volkswirtschaftslehre. Die Lebenszufriedenheit der Menschen habe deutlich zugenommen.

Dennoch sieht Cremer einen Reformbedarf – etwa bei der Beratung in den Jobcentern, der Integration Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt, der materiellen Hilfen für Familien und bei den Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger, die er teils als unverhältnismäßig hart bezeichnet.

Sozialpolitik neu denken

Auch Ellen Bareis, die Vizepräsidentin der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, nennt die Hartz-IV-Sanktionen problematisch. So würden Menschen unter 25 Jahren besonders hart von diesen Maßnahmen getroffen. Insofern müsse Hartz-IV „dringend reformiert werden“, sagt die Soziologin, die ebenfalls an der Armutskonferenz in der Christuskirche teilnimmt. Bareis spricht sich dafür aus, Hartz-IV-Empfänger weniger zu sanktionieren und sie stattdessen stärker zu fördern. Sie kritisiert an der Agenda 2010, dass sie unter anderem zu einem Niedriglohnsektor und zu teils prekären Beschäftigungsverhältnissen geführt habe.

Langfristig, so Bareis, „muss man Sozialpolitik tatsächlich neu denken.“ Denn den großen Veränderungsprozessen der Gesellschaft, wie beispielsweise der Digitalisierung oder dem demografischen Wandel, sei das derzeitige System nicht gewachsen. Wirtschaftliche Gewinne ließen sich künftig in Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Erziehung oder Altenpflege kaum noch erzielen. „Man braucht andere Modelle“, ist Ellen Bareis überzeugt. Als eine mögliche Alternative nennt sie eine Sozialpolitik, die sich stärker als soziale Infrastruktur versteht und vom Markt losgelöst ist.

Termin: Die Armutskonferenz in der Christuskirche in Waiblingen (Bismarckstraße/Ecke Blumenstraße) findet am Donnerstag, 17. Oktober, von 16 bis 18 Uhr statt.