Angst und Verzweiflung: Der Arbeitskreis Leben in Böblingen hilft in Krisen und will vor Suizid bewahren. Foto: dpa/Georg Hochmuth

57 Menschen haben sich im Kreis Böblingen im Jahr 2022 das Leben genommen – so viele wie noch nie. Der Arbeitskreis Leben möchte an einem Aktionstag auf sein Angebot aufmerksam machen- vor allem Männer.

Seit neun Jahren arbeitet die Sindelfingerin Margit Wagner ehrenamtlich beim Arbeitskreis Leben in Böblingen. Wenn das Telefon klingelt, ist sie zur Stelle: Sie hilft Menschen, die in Lebenskrisen stecken und so verzweifelt sind, dass ihnen Suizid als einziger Ausweg erscheint. Dann geht es erst einmal raus in die Natur: „Ich gehe mit den Menschen gerne spazieren“, erzählt die 70-Jährige. Ob Sonne, Regen oder Schnee. In den Gesprächen will sie vor allem eines erreichen: Den Hilfesuchenden Mut machen, ihre Probleme anzugehen.

Im Landkreis Böblingen sind die Suizidzahlen nach der Coronapandemie rasant angestiegen. Im Jahr 2022 – aktuellere Zahlen gibt es nicht – stieg die Zahl der Suizidopfer auf 57 Menschen – darunter sind 47 Männer. Ein Anstieg um 90 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – und ein Höchststand, den es in den vergangenen zwölf Jahren noch nie gegeben hat, wie die AKL-Vorsitzende Margit Wagner sagt.

Männer haben mehr Hemmungen, sich Hilfe zu suchen

Weil 75 Prozent der Suizide von Männern verübt werden, will der Arbeitskreis Leben (AKL) Böblingen am 10. September, dem Tag der Suizidprävention, Aktionen zum Thema „Männersuizid“ starten.

„Die Coronazeit hat auch heute noch heftige Auswirkungen“, erklärt die AKL Vorsitzende Margit Wagner die akut gestiegenen Zahlen im Landkreis. Vereinsamung, familiäre Streitigkeiten und berufliche Existenzängste hätten Menschen in dieser Zeit und darüber hinaus in Not gebracht.

Dass vor allem Männer Suizid begehen, liege oftmals daran, dass sie größere Hemmungen zu haben scheinen, sich Hilfe zu suchen, sagt Margit Wagner. Das bemerkt die Ehrenamtliche auch in ihrer Arbeit beim AKL: Obwohl sich Männer häufiger das Leben nehmen als Frauen, würden nur wenige Männer das Hilfsangebot des AKL nutzen. Ein weiterer Grund sei, dass Männer oftmals rabiatere Methoden wählen würden, sodass es nur geringe Überlebenschancen gebe. Doch was tun, damit sich etwas ändert?

„Das Thema muss aus der Tabuzone herausgeholt werden“, sagt Margit Wagner. Im Gegensatz zu Frauen würden sich Männer selten untereinander anvertrauen und über ihre Probleme kaum sprechen. Doch genau dies sei in Akutsituationen wichtig: „Dann merken nämlich viele, dass es gar nicht so ungewöhnlich ist, wenn man sich in solch einer Lage wiederfindet“, sagt die 70-Jährige. Sich überfordert zu fühlen und verzweifelt zu sein, sei keine Schande. In diesen Situationen helfe reden nachweislich.

Hilfe per Telefon und Mail

Die Ehrenamtlichen des AKL sind täglich für suizidgefährdete Menschen da. Zwischen 8 und 18 Uhr wird jeden Tag ein Anrufbeantworter abgehört. Betroffene können sich unter der Nummer 0 70 31 /3 04 92 59 melden und bekommen innerhalb von Stunden einen Rückruf, wenn sie ihre Nummer hinterlassen. Der Bereitschaftsdienst kümmert sich während dieser Zeit auch um Anfragen, die per E-Mail unter akl-boeblingen@ak-leben.de eingehen. „Wir beim AKL sind fachkundige Begleiter, die Mut machen“, erklärt Margit Wagner. Ihr Anliegen sei, Menschen in Lebenskrisen an Fachleute zu vermitteln.

Außerdem bietet der Verein, der derzeit aus zehn Ehrenamtlichen besteht, eine Gruppe für Hinterbliebene nach einem Suizid an. Zwar seien die Anfragen beim Verein von Suizidgefährdeten in letzter Zeit nicht gestiegen, die Anfragen von Angehörigen nach einem Suizid allerdings schon. „Wir würden uns natürlich wünschen, dass das andersherum wäre“, sagt die Vorsitzende. Dass Menschen – insbesondere Männer – Hilfe in Anspruch nehmen, bevor es zu spät ist.

Vortrag über Männersuizid

Für den Tag der Suizidprävention, am Dienstag, 10. September, haben die Ehrenamtlichen des AKL Böblingen von 10 bis 15 Uhr eine T-Shirt-Aktion und einen Infostand auf dem Elbenplatz geplant.

Um 19 Uhr wird außerdem Jörg Breitmaier einen Vortrag halten. Breitmaier war Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Krankenhaus Zum Guten Hirten in Ludwigshafen am Rhein. Im Gemeindezentrum der Sindelfinger Versöhnungskirche (Goldbergstraße 31 ) spricht der Fachmann zum Thema Männersuizid.

Hinweis Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 und unter https://ts-im-internet.de/ erreichbar. Eine Liste mit Hilfsangeboten findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: https://www.suizidprophylaxe.de/

AKL Böblingen

Hilfe
An den AKL Böblingen können sich Suizidgefährdete und Menschen in Lebenskrisen wenden. Ebenso gibt es eine Hinterbliebenengruppe nach einem Suizid für Angehörige. Die Ehrenamtlichen bieten Einzelberatung, Krisenintervention und Alltagsbegleitung an. Die Beratung ist ein kostenloses Angebot.

Erstkontakt
Hilfesuchende können sich per Telefon unter der Nummer 07031 / 3049259 melden und auf einem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen. Dieser wird täglich zwischen 8 und 18 Uhr abgehört. Betroffene können auch eine E-Mail an akl-boeblingen@ak-leben.de schreiben.

Spenden
Mit finanziellen Spenden kann die Arbeit des AKL Böblingen unterstützt werden. Spendenkonto: AKL Böblingen IBAN DE62 6035 0130 0003 7120 96 bei der KSK Böblingen.