Nach dem Vorbild von Berlin und München will die Polizei die Zahl ihrer Abonnenten vergrößern. Foto: Gottfried Stoppel

Einen ganzen Tag lang postet die Polizei jeden Anruf, der im Lagezentrum in Waiblingen eingeht, in den sozialen Netzwerken. Was das Ziel der Social-Media-Offensive ist, lesen Sie hier:

Waiblingen - Am Bahnhof Aalen belästigen zwei betrunkene Mädchen Fahrgäste. In Weinstadt büchsen zwei Pferde von einer Koppel aus. Und ein Herr, der eigentlich mit seiner Bank sprechen wollte, hat am Telefon seine Kontonummer eingegeben, die offensichtlich mit „110“ beginnt. Im Minutentakt gehen an diesem Freitag solche Anrufe im Lagezentrum der Polizei ein – der alltägliche Wahnsinn. Wobei an Freitagen immer besonders viel los sei, erklärt der Pressesprecher Ronald Krötz: „Einerseits ist es noch ein Wochentag – andererseits gehen die Leute zum Feierabend auch noch nicht gleich nach Hause.“

Eine junge Polizistin erntet ein ungewolltes, unmoralisches Angebot

Die Polizei Aalen hat eine Social-Media-Offensive gestartet. Fast jeden Notruf, der an diesem Tag im Lagezentrum in Waiblingen eingeht, stellt ein Team von fünf Polizisten quasi zeitgleich auf Facebook und Twitter. Zwölf Stunden lang – und bei durchschnittlich 240 Notrufen am Tag bedeutet das jede Menge Arbeit. Das Team der Pressestelle hat sich daher Verstärkung geholt – zum Beispiel von der Polizeihauptmeisterin Serap Bahadir, die normalerweise im Lagezentrum arbeitet.

In den Kommentaren unter diesem Video postet die Polizei noch bis 22 Uhr alle Notrufe:

Ein Bild der 33-Jährigen fließt natürlich auch auf Facebook mit ein – und erntet prompt einen schlüpfrigen Kommentar. „Den mussten wir leider löschen“, erklärt der Pressesprecher Ronald Krötz. Gelächter erntet dagegen die Frage eines Nutzers, ob die Polizistin denn ihren privaten Tabletcomputer nutze und „die Schreibmaschine fürs Foto weggepackt“ hätte.

Die meisten der kurzen Meldungen, die das Team mit dem Spezialauftrag absetzt, sind in lockerem Stil geschrieben. Kein Beamtendeutsch, kein erhobener Zeigefinger. Die Botschaft ist klar: Das Präsidium will sich auf Augenhöhe mit den Nutzern darstellen, ganz nebenbei zeigen, dass in jeder blauen Uniform auch ein Mensch steckt. Gerade in Zeiten wachsender Respektlosigkeit und zunehmender Gewalt gegen Polizisten sei das „ein netter Nebeneffekt“, wie Ronald Krötz erklärt.

Das Hauptziel der Social-Media-Offensive: Mehr Follower für die Polizei

Doch das ist nicht das Hauptziel der Aktion: Was am Ende zählt, ist vor allem die Zahl neuer Nutzer, die die Polizei dazu bringen kann, ihre Social-Media-Kanäle zu abonnieren. „Mehr Abonnenten bedeutet, dass wir bei entsprechenden Einsatzlagen mehr Menschen und die Medien direkt erreichen können“, erklärt Ronald Krötz. Gerade in Zeiten, in denen teils in Minutenschnelle Bilder von Unfällen, aber auch Meldungen zu erfundenen oder tatsächlichen Straftaten in die ganze Welt gehen können, sei es für die Polizei wichtig, „die Deutungshoheit zu haben“, wie Krötz sagt. „Wir wollen Leuten, die mit falschen oder übertriebenen Infos rausgehen, den Wind aus den Segeln nehmen.“

Wie das aussehen kann, hatte im Jahr 2016 zum Beispiel die Polizei in München, allen voran deren Sprecher Marcus da Gloria Martins, vorgemacht. Nach dem damaligen Amoklauf erntete die Polizei in ganz Deutschland viel Lob dafür, wie sie während des Verbrechens laufend die Öffentlichkeit informierte und Fake News entlarvte – und zwar nicht nur über klassische Fernseh-Interviews und Pressekonferenzen, sondern auch direkt über die Social-Media-Kanäle der Polizei.

In Backnang verfolgt ein Mann einen Taschendieb

Die Zwölf-Stunden-Aktion ist nicht in Aalen erfunden worden – die Polizei in München, Berlin und Heilbronn hat ähnliche Aktionen gemacht. Bis das hiesige Polizeipräsidium in deren Liga spielt, wird noch einiges Wasser die Rems hinabfließen. Aber das Team legt sich ins Zeug: „In Backnang hat ein Mann einen Taschendieb erwischt und hält ihn fest – ich mache mich dran“, sagt Krötz und tippt auf seinem Tabletcomputer, während er die aktuell eingehenden Informationen auf einem anderen Bildschirm verfolgt.

Es ist inzwischen Nachmittag geworden – bis 22 Uhr geht der Nachrichtenmarathon noch. Bis das Presseteam die „Gefällt mir“-Angaben zählen und seine Tablets ausschalten kann, werden noch einige Anrufe im Lagezentrum eingehen. Einer der Polizisten verteilt Tüten mit Gummibonbons – Nervennahrung. Wer weiß, was der nächste Anruf bringt.