Anja Engel von der AGDW steht bei Bedarf im Lernraum mit Rat zur Seite. Foto: Lichtgut/Oliver Willikonsky

Die Aktion Weihnachten hilft seit 50 Jahren Bedürftigen und fördert Projekte. Ein Beispiel: 2020/21 haben wir die technische Ausstattung dreier Lernräume finanziert. Letztere sind auch wichtig, wenn die Schulen geöffnet sind. Das zeigt ein Besuch vor Ort.

Stuttgart - Hell und freundlich ist der Lernraum in der Flüchtlingsunterkunft in der Schemppstraße in Stuttgart. Nicht besonders groß, aber auch nicht zu klein. Mehmet (Name geändert) kommt regelmäßig hierher. „Hier kann ich mich besser konzentrieren“, sagt der 14-Jährige, der sich ein Zimmer mit seinem älteren Bruder teilt. Die Wände sind dünn in dem Gebäude. Irgendwer stört sonst immer. Doch es ist nicht nur die Ruhe, die er schätzt. Der Achtklässler ist auch auf die Technik angewiesen: Laptop, Drucker und eine stabile Internetverbindung. Die braucht er mindestens jeden Freitag. Dann ist bei ihm Homeschooling angesagt. Auch jetzt noch, Ende 2021. Eine seiner Lehrerinnen unterrichte weiterhin nur online, erklärt er.

In dieser Woche war der 14-Jährige besonders oft im Lernraum. Eine weitere Lehrerin bat zur Videokonferenz. Sie musste sich wegen eines Coronafalls isolieren. Das stellt für ihn kein Problem mehr dar – zum Glück. Er hat die Wochen noch in Erinnerung: als er „der einzige Schüler“ aus seiner Klasse war, der nicht am digitalen Unterricht teilnehmen konnte. Wie so viele geflüchtete Kinder und Jugendliche während der Schulschließung.

Lernraum in Sillenbuch wird seit Ende Januar genutzt

Der Lernraum in der Unterkunft in Sillenbuch ist einer von zehn Lernräumen in Stuttgart, die das Projekt „Digital for Kids“ eingerichtet hat – um auch Kindern, die in Sozial- oder Flüchtlingsunterkünften wohnen, Bildung in Pandemiezeiten zu ermöglichen. Für das Projekt kooperieren der Ausbildungscampus und die Abteilung Ehrenamtsförderung des Sozialamts. Zu den Förderern gehört neben Stiftungen auch die Aktion Weihnachten. Bei der vergangenen Aktion hat die Spendenaktion der Stuttgarter Nachrichten, die dieses Jahr 50 Jahre alt geworden ist, Initiativen für benachteiligte Schülerinnen und Schülern in der Pandemie in den Mittelpunkt gerückt – darunter auch „Digital for all kids“. Dem Projekt haben wir ermöglicht, drei Lernräume technisch auszustatten. Der Raum in Sillenbuch ist einer davon. Ende Januar ging er an den Start. „Ich freue mich, dass hier etwas sehr Schönes entstanden ist“, sagt die Projektkoordinatorin, Constanze Nusser vom Ausbildungscampus.

86-Jähriger Zoom erklärt

„Beim Lernen zu helfen ohne diese Infrastruktur, das ist eine enorme Herausforderung“, sagt die Ehrenamtliche Rosalinde Brandner-Buck. Sie hat viele Jahre einem geflüchteten Mädchen aus Afghanistan zur Seite gestanden und hätte sich rückblickend „solch einen Lernraum gewünscht“. Bei „Digital for all kids“ bringt sich Brandner-Buck aber nicht als Lernbegleiterin, sondern anders ein: Sie macht andere Ehrenamtliche digital fit.

„Die Technik alleine reicht nicht“, betont Constanze Nusser, die Lernbegleitung ist wichtiger Bestandteil des Projekts. In Schulungen wird den Ehrenamtlichen zum Beispiel erklärt, wie die Programme für Videokonferenzen funktionieren und wo man gute Erklärvideos im Netz finden kann, aber auch wie Office und Word funktionieren. Das sei für viele neu. Die meisten Ehrenamtlichen seien bereits im Ruhestand, so Rosaline Brandner-Buck, die sogar einer 86 Jahre alten Dame erfolgreich das Programm Zoom erklärt hat. „Sie wollte wissen, wie das geht, weil sie ihr Hausaufgabenkind nicht alleine lassen wollte“, erzählt die Stuttgarterin.

Englisch ist ihm am schwersten gefallen

Nun, da sich die Lerntandems wieder treffen können, tun dies viele im Lernraum. Dort seien schon einige Präsentationen in Word oder Powerpoint vorbereitet worden. Das berichtet Anja Engel von der Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt (AGDW). Sie ist froh, dass die Unterkunft nun gewappnet ist, sollte es doch wieder zu einer Phase des Homeschoolings kommen. „Wir stehen nicht mehr so hilflos da“, sagt die Pädagogin, „das entspannt unglaublich“.

Mehmet erinnert sich noch, wie „glücklich“ er war, als er das erste Mal im Lernraum saß und sich in den Unterricht einwählen konnte. Die Wochen davor sei er mit seinen Aufgaben allein gewesen. Mathe, sein Lieblingsfach, sei ihm zwar leicht gefallen, aber Englisch sei hart gewesen – sich die Sprache über das Buch zu erschließen. Seine Noten hätten sich verschlechtert.

Mathematik fand in dieser Woche mal wieder digital statt. Was ihm gar nicht gefallen hat: „Ich habe mich die ganze Zeit gemeldet. Doch sie hat mich auf Stumm gestellt, damit ich nicht reden und die Lösungen sagen kann.“ Von solchen „Problemen“ hört Anja Engel doch gerne.