Nach der Geburt ihres Sohnes hatte Frau M. eine Erkenntnis, die sie erstmal in ein Loch stürzte. Auch heute ist ihr Alltag herausfordernd. Die Alleinerziehende hat eine fortschreitende Augenkrankheit und sieht nur noch fünf Prozent.
Als Frau M. nach der Geburt ihr Baby auf ihrer Haut spürte, die Wärme dieses zarten Körpers, war sie erfüllt von Mutterliebe. So sehr liebte sie dieses Kind, dass sich zugleich Verzweiflung in ihr breit machte. Wie konnte ihre eigene Mutter das nur tun?, fragt sie sich. „Die Geburt meines Sohnes hat mich in ein Loch gestürzt“, erzählt Frau M. Denn ihre eigene Mutter hatte sie als Baby nach der Geburt weggeben.
Sie seien Zwillinge gewesen, erzählt Frau M. Zwei Babys auf einmal waren ihrer Mutter offenbar zuviel. Ihre Zwillingsschwester durfte bei den Eltern groß werden, Frau M. wiederum musste zu den Großeltern. Ihre Familie sei regelmäßig zu Besuch gekommen. „Immer habe ich gehofft, dass sie mich mitnehmen“, aber stets musste sie zurückbleiben. Frau M. hat sich schon oft gefragt, warum es sie getroffen hat und nicht die Schwester. Vielleicht habe es an der Form ihrer Augen gelegen?
Das Trennungsgespräch eskalierte
Dass Frau M. ausgerechnet ihre Augen als Grund anführt, kommt nicht von ungefähr. Als sie 14 Jahre alt war, erhielt die Stuttgarterin eine erschütternde Diagnose. Sie hat eine Erkrankung der Netzhaut, die sukzessive dazu führt, dass sie ihr Augenlicht verliert. Inzwischen ist die Erkrankung so weit fortgeschritten, dass sie nur noch fünf Prozent sieht. Ihr Expartner, der Vater ihres Sohnes, habe das nie ernst genommen. Wenn sie mal wieder irgendwo gegen stieß, machte er sich über sie lustig. Überhaupt habe er sich abwertend verhalten. Es war keine gute Beziehung. Dennoch wurde sie wieder schwanger, hatte aber eine Fehlgeburt. Sie beschloss kurz darauf, sich von ihm zu trennen. Da war ihr Sohn ein Jahr alt. Das Trennungsgespräch eskalierte – ihr Expartner habe sie mit einem Messer bedroht.
Danach litt sie unter Ängsten, sorgte sich ständig, ihrem Kind oder ihr könnte etwas zustoßen. „Ich bin weinend zum Jugendamt“, erzählt sie. Man vermittelte sie in ein teilstationäres Angebot, wo sie Hilfen zur Erziehung erhielt. Es dauerte etwas, bis sie sich darauf einlassen konnte, aber sie ist froh, dass sie es schließlich tat. Inzwischen weiß sie, dass sie sich keine Sorgen machen muss, dass jemand ihr wegen ihrer Sehbehinderung das Kind wegnehmen könnte. Dass sie Anrecht auf Unterstützung hat.
Alles, was sie tut, erfordert Konzentration
Die bekommt sie weiterhin – inzwischen über einen anderen Träger, da sie das teilstationäre Angebot abgeschlossen hat. Sie sei jetzt viel selbstbewusster, sagt Frau M.. Aktuell absolviert sie das Vorbereitungsjahr für eine Ausbildung als Büroservicekraft. Ihr inzwischen vier Jahre alter Sohn besucht einen Kindergarten. An Liebe, das hat sie sich vorgenommen, soll es ihrem Kind nie mangeln. Das tut es auch nicht. Sie habe ihn vielleicht etwas verwöhnt, sagt Frau M.. Er habe einen starken Willen, sei intelligent und lebhaft. Sie geht mit ihm auf den Spielplatz, aber jedes Mal habe sie Angst, ihn dort zu verlieren. Weil sie doch so wenig sieht. Wenn sie in die Wilhelma gehen, was er liebe, tue sie so, als könne sie auch sehen, was er sieht. Noch klappe es, ihm etwas vorzuspielen.
Alles, was sie tut, erfordert von Frau M. besondere Konzentration. Auch die Haushaltsführung. Weil die gebraucht gekaufte Waschmaschine kaputt gegangen ist – sie schleudert nicht mehr – wäscht die Alleinerziehende die Wäsche seit Monaten mit der Hand. Auch der Schrank im Kinderzimmer ist kaputt: Scharniere haben sich gelöst. Der Vierjährige benötigt zudem ein Bett. Er schläft bisher in einem Reisebett. Das ist ihm zu klein geworden. Er ist zuletzt deutlich gewachsen. Die Sozialarbeiterin, die die Anfang-40-jährige Klientin betreut, hat deshalb neben dem Kinderbett, dem Schrank und der Waschmaschine auch Kleidung für den Winter sowie Schuhe für den Jungen bei der Aktion Weihnachten beantragt. Wir wollen helfen und die Käufe ermöglichen.
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