Viele der jungen Frauen auf der Flucht vor Zwangsheirat sind Musliminnen, aber nicht alle. Foto: dpa/Wolfram Steinberg

Wenn Mädchen und junge Frauen von Zwangsheirat oder Gewalt im Namen der Ehre bedroht sind, benötigen sie kurzfristig einen sicheren Ort. Den bietet die neue Zufluchtstelle Nadia.

Stuttgart - Sie heißen Irina, Zeynep, Raheleh – und doch ganz anders. Keines der Mädchen und jungen Frauen, die in der Zufluchtsstelle Nadia leben, kennt die echten Namen der anderen. Auch die Orte, die sie jeweils verlassen haben, sind geheim. Sie wissen nur, dass sie aus demselben Grund hier sind: weil ihnen Gewalt im Namen der Ehre droht oder weil sie einen Mann heiraten sollen, den sie nicht heiraten wollen.

„Zu uns kommen die Hochgefährdeten“, sagt die Nadia-Gruppenleiterin und Sozialpädagogin Aysha Kartal. Auch sie benutzt aus Sicherheitsgründen ein Pseudonym. Der Gruppenschutz stehe an erster Stelle, sagt sie – alle Betreuerinnen haben deshalb Alias-Namen. Hält sich eines der Mädchen nicht an die strengen Sicherheitsvorkehrungen, werde sie sofort entlassen. Dazu gehört auch: ohne Smartphone leben. Eine der ersten Maßnahmen bei der Aufnahme sei, das Handy einzukassieren, so Kartal. Das sei hart für die Mädchen. Doch zu groß ist die Gefahr, dass sie Freundinnen kontaktieren.

Bis zu zwölf Wochen können die Mädchen bleiben

Aysha Kartal macht es immer noch „sehr froh“, dass es die Zufluchtsstelle Nadia endlich gibt und die Bedarfslücke geschlossen worden sei. Träger des Angebots ist die Evangelische Gesellschaft (Eva). „14 Jahre haben wir dafür gekämpft“, sagt die Mitinitiatorin. In diesem Sommer konnten die ersten jungen Frauen einziehen. In nicht einmal zwei Wochen seien fünf von sechs Plätzen belegt gewesen. „Aktuell sind wir voll“, sagt sie. Das Angebot richtet sich an 14- bis 27-Jährige aus dem gesamten Bundesgebiet, die sich in einer akuten Krisensituation befinden, weil sie von Gewalt im Namen der Ehre oder Zwangsverheiratung bedroht oder betroffen sind. Bis zu zwölf Wochen können sie in der anonymen stationären Jugendhilfeeinrichtung bleiben. So lange ist Zeit, zur Ruhe zu kommen und zu klären, wie es weiter geht. Manche blieben nur zwei Tage, andere die gesamten zwölf Wochen, das sei sehr unterschiedlich, berichtet Kartal.

Die Mutter des Kindsvaters macht die Tür nicht auf

Nicht alle, die bei ihnen Schutz suchen, sind Musliminnen. Unter den 15 bisherigen Aufnahmen seien auch eine Jesidin und ein Mädchen christlich-orthodoxen Glaubens gewesen. Alle, die kämen, hätten jahrelang familiäre Gewalt erfahren: körperliche, seelische, sexuelle. Auslöser sei meistens, wenn eine Zwangsheirat ansteht. Wenn die jungen Frauen Kontakt aufnehmen wollen zu ihren Familien, können sie zum ersten Mal ohne Angst, Gewalt zu erleiden, mit diesen sprechen. Es kommt auch vor, dass die Mädchen positiv überrascht werden, weil die Eltern offener reagieren als erwartet. „Eltern hinterfragen sich auch“, ist Kartals Erfahrung. Bei den Jüngeren sei das Jugendamt grundsätzlich mit eingeschaltet.

Frauen mit Kindern nehmen sie nicht auf, aber eine Schwangere ist schon bei Nadia untergekommen – ein Fall mit Höhen und Tiefen. Als klar war, dass sie ihre Schwangerschaft nicht länger geheim halten konnte, war diese von zu Hause geflohen. „Sie hatte Angst um ihr Leben“, erzählt die Gruppenleiterin. Die Zufluchtsstelle sei für sie der sichere Ort gewesen, den sie gebraucht habe, um Kontakt aufzunehmen. Die erste Reaktion ihrer Eltern war wenig problemlösend: Sie zeigten den Kindsvater wegen sexuellem Missbrauch an.

Auch der Freund durfte mit einziehen

Dann sei die „Schwiegermutter“ bereit gewesen, die Freundin ihres Sohnes aufzunehmen. Doch als diese mit ihrem Bauch vor der Tür stand, habe die Schwiegermutter nicht aufgemacht, erzählt Kartal. Also wurde die Schwangere ein zweites Mal bei Nadia aufgenommen. Sie waren schon dabei, einen Platz im Mutter-Kind-Haus zu organisieren, weil die Geburt näher rückte, als ein begleitetes Elterngespräch die Wende brachte. Der Kindsvater war bei diesem dabei. „Die Mutter hat sich von der Tochter gewünscht, dass sie zurückkommt.“ Die Eltern hätten glaubhaft versichert, dass ihr nichts passiert. Denn auch der Freund habe miteinziehen dürfen.

Das Jugendamt finanziert die vier Plätze für Minderjährige, das Sozialministerium zwei Notaufnahmeplätze für Volljährige. Es bleibt aber eine Finanzierungslücke für die Eva im fünfstelligen Bereich. Hier will sich die Aktion Weihnachten mit einbringen.

So können Sie spenden:

Die Aktion Weihnachten freut sich über Spenden. Wenn Ihr Name als Spender veröffentlicht werden darf, vermerken Sie das bitte unbedingt bei der Überweisung. Die Konten lauten: Baden-Württembergische Bank, IBAN DE04 6005 0101 0002 3423 40, oder Schwäbische Bank, IBAN DE85 6002 0100 0000 0063 00.