Rückenwind-Mutter Doreen Krüger mit ihrem Sohn Tobias Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Die Aktion Weihnachten 2018 startet. Wir wollen belasteten Familien aus Stuttgart und der Region den Alltag erleichtern. So unterstützen wir ein Projekt für Kinder, die ein psychisch krankes Elternteil haben. Auch wollen wir Müttern behinderter Kinder Auszeiten ermöglichen. Helfen Sie mit!

Stuttgart - Die Vorweihnachtszeit verbringt Paul (Name geändert) in diesem Jahr nicht zu Hause bei seiner Mutter. Der Zehnjährige ist vorübergehend in einer Wohngruppe untergebracht. Pauls Mutter ist chronisch psychisch krank, wegen einer akuten Depression musste sie in die Klinik. Die Frau liebt ihr Kind – und sie hat sich Unterstützung gesucht. Für Ulrike Scherer von der Evangelischen Gesellschaft (Eva) ist sie eine „vorbildliche Mutter“. Über das Projekt Aufwind, bei dem die Eva mit dem Caritasverband und dem Klinikum Stuttgart kooperiert, hat Paul vor eineinhalb Jahren einen Paten an die Seite gestellt bekommen. Und dieser ist auch jetzt eine wichtige Konstante in seinem Leben.

Einmal die Woche trifft sich David Zimmermann mit dem Jungen. Sie gehen in die Trampolinhalle, ins Kino, spielen Fußball. „Wir machen nur Dinge, die ihm Spaß machen“, sagt der 24-Jährige. Paul soll den Alltag vergessen, wenigstens für zwei Stunden. Wenn er reden will, hat Zimmermann ein offenes Ohr. Aber Paul muss nicht reden. „Er darf einfach mal Kind sein“, sagt der Pate. Für Paul ist das neu. Bei den betroffenen Familien seien die Rollen oft vertauscht, sagt Ulrike Scherer, die für Aufwind zuständig ist: „Die Kinder sorgen sich um ihre Eltern.“

Bedarf an Patenschaften ist viel größer

Die 48. Aktion Weihnachten der Stuttgarter Nachrichten, die an diesem Samstag startet, rückt Kinder und Erwachsene in den Mittelpunkt, die es schwer haben im Leben. Die Not ist groß, das zeigen die vielen Anträge, die bereits bei uns eingegangen sind. „Für viele unserer Klienten und Klientinnen ist eine Spende Ihrer Weihnachtsaktion oft ,die letzte Rettung‘“, schreibt uns zum Beispiel der Mitarbeiter eines Sozialpsychiatrischen Diensts. Im Advent stellen wir Einzelschicksale sowie Initiativen und Projekte aus Stuttgart und der Region vor, die sich für Benachteiligte einsetzen – wie Aufwind.

Bisher haben nur zehn Stuttgarter Kinder mit einem psychisch kranken Elternteil einen Paten oder eine Patin an ihrer Seite. „Der Bedarf ist viel größer“, sagt Ulrike Scherer. Aber die Betreuung der Paten ist aufwendig, der Auswahlprozess aus Kinderschutzgründen langwierig, und sie hat nicht einmal eine halbe Stelle. Deshalb gibt es eine Warteliste – und großen Leidensdruck bei den Betroffenen. Das zeigt das Beispiel der Familie G., die seit einem Jahr auf einen Paten wartet. Der Vater ist chronisch depressiv. Vor zwei Jahren hat er versucht, sich das Leben zu nehmen. Das jüngste der fünf Kinder benötigt eine Patin oder einen Paten. Die Neunjährige hat seit dem Suizidversuch Verlustängste. Herr G., der berufsunfähig ist, kümmert sich, so gut er kann, doch er sehnt sich nach Unterstützung. „Es wäre wichtig, dass ein Mensch für sie da wäre, das wäre auch für mich eine Entlastung“, erklärt er. Seine Tochter brauche dringend jemanden Unbelastetes außerhalb der Familie.

Die Aktion Weihnachten unterstützt das spendenfinanzierte Projekt, damit Aufwind in Zukunft mehr Patenschaften betreuen kann. Eine Spendenzusage von einer Stiftung gibt es schon, aber für 2019 ist weiterhin eine beachtliche finanzielle Lücke zu füllen. Das Ziel ist, dass die Stadt ab 2020 dann die Kosten für die wichtige Patenbetreuung übernimmt.

Die einzige Auszeit, die sich die pflegende Mutter gönnt

Helfen wollen wir auch dem Verein „Rückenwind – Pflegende Mütter behinderter Kinder stärken“. In ihm sind knapp 50 Mütter schwer mehrfachbehinderter Kinder organisiert. Es handelt sich um „Mütter in permanenten Ausnahmesituationen“, wie es die Vorsitzende Ursula Hofmann ausdrückt. Eine Familie mit behindertem Kind zu managen sei eine erschöpfende, nie endende Herausforderung, betont sie. Der Verein setzt sich auf vielfältige Art und Weise für die Entlastung der Familien ein. Er prangert zum Beispiel Versorgungslücken an, wie fehlende Kurzzeitpflegeplätze. Er bietet aber auch Möglichkeiten zum Austausch und organisiert Pflegeauszeiten für die Mütter. Bei Letzterem wollen wir helfen. An den Auszeitwochenenden könnten die Mütter „einfach mal nur an sich denken“, so Ursula Hofmann. Wie wichtig das ist, weiß die mehrfach ausgezeichnete 57-Jährige genau: Ihr jüngstes von vier Kindern wurde mit einem seltenen Gendefekt geboren. Sie ist das einzige Mädchen, bei dem diese Diagnose bisher gestellt wurde.

Die Wochenenden mit den anderen Rückenwind-Müttern bedeuten auch der Stuttgarterin Doreen Krüger „unglaublich viel“. Zweimal ist sie bisher bei einem Wochenende dabei gewesen. Es sei die einzige Auszeit von der Familie im Jahr, die sie sich gönne. Doreen Krüger hat zwei Kinder. Ihr Sohn Tobias kam mit einem fehlgebildeten Großhirn auf die Welt. Die Ärzte hatten ihm damals zunächst keine Überlebenschance gegeben. An diesem Freitag ist Tobias elf Jahre alt geworden. Ein Wunder.

Die Bindung hat sich gebildet – unübersehbar

Die Pflege ist aufwendig – und er wird sie sein Leben lang benötigen: Tobias muss gefüttert und gewickelt werden. Er kann seinen Körper nicht halten, nicht sprechen, und wie viel seine Augen sehen, ist unklar. Doch Tobias zeigt seinen Eltern und seiner ein Jahr älteren Schwester immer wieder, dass er Anteil hat an ihrem Leben. Er mag Musik, aber keine Unruhe. Erst recht mag er nicht, wenn mit seiner Schwester geschimpft wird. „Dann lacht er ganz seltsam, so dass man gleich aufhören muss mit Schimpfen“, erzählt seine Mutter. Tobias sitzt währenddessen auf seinem Lieblingsplatz: ihrem Schoß. Sie stupst liebevoll seine Nase an, er kichert, gluckst. Es hat nach der Geburt gedauert, bis die Mutter eine Bindung zu ihrem zweiten Kind aufbauen konnte. Aber sie hat sich gebildet – unübersehbar.

Doreen Krüger hat sich ihre positive Herangehensweise ans Leben bewahrt. Dabei haben ihr neben der Familie vor allem ihre Freunde, die geblieben sind, geholfen und der Rückhalt durch Rückenwind. Der Austausch mit anderen betroffenen Müttern tut ihr gut. Auch die Aktion Weihnachten will den Familien Rückenwind geben – und unterstützt die wichtigen Pflegeauszeiten.