Mit einem Alkoholiker als Vater oder Mutter aufzuwachsen, ist sehr belastend für Kinder.. Foto: dpa

Ihren Vater habe sie fast nie nüchtern erlebt, erzählt Anna (Name geändert). Sie hatte eine schwere Kindheit. Die Aktion Weihnachten unterstützt sie, damit sie ihren Realschulabschluss machen kann.

Stuttgart - Nüchtern hat Anna (Name geändert) ihren Vater fast nie erlebt. Wein gab es für ihn schon zum Frühstück. Doch wirklich begriffen, dass er Alkoholiker ist, habe sie erst mit zwölf Jahren, erzählt die 19-Jährige. Zurückgehalten habe er sich nur, wenn ein Termin mit dem Jugendamt anstand. Sie verbindet mit diesen Terminen vor allem seine zitternden Hände.

An die Zeit, als ihre Mutter noch zu Hause lebte, hat sie schlechte Erinnerungen. Ihr Vater habe damals einen ganz guten Job gehabt, war aber viel unterwegs. Die Mutter arbeitete nicht, kümmerte sich aber auch nicht um ihre Töchter. Sie gab ihnen nichts zu essen, wusch sie nicht, nahm sie mit zu Männerbekanntschaften oder ließ sie alleine, um feiern zu gehen. Schließlich verständigten Nachbarn das Jugendamt.

Ihr Vater ließ sich scheiden, erhielt das Sorgerecht für sie und ihre Halbschwester, deren Erzeuger er nicht war. Die ältere Schwester zog schon bald in eine betreute Wohngruppe. Ihre Mutter sah sie zunächst noch alle zwei Wochen, immer in Begleitung einer Sozialarbeiterin des Jugendamts, dann irgendwann nur noch ein bis zweimal im Jahr, schließlich brach der Kontakt ab.

Nach zwei Jahren kam die Depression zurück

Je älter sie wurde, desto mehr musste Anna zu Hause machen. Ihr Vater, der 2011 arbeitslos geworden ist, überließ der Tochter den Haushalt. Kochen, aufräumen, putzen, dazu Schule und ein Nebenjob. Irgendwann konnte sie nicht mehr. „Mit 15 war ich das erste Mal in Therapie“, erinnert sie sich. Zwei Jahre später kam die Depression zurück. Sie ging nicht mehr zur Schule, lag einfach nur im Bett. „Ich habe mich vollkommen isoliert“, erinnert sie sich. Sie wurde ambulant in der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt, bekam dort Antidepressiva verschrieben. Die Realschule brach sie in der zehnten Klasse ab.

Die Konflikte mit dem Vater wurden größer. Er verbot ihr, abends wegzugehen. Sie tat es dennoch – und stand um 23 Uhr vor verschlossener Tür. „Er hat mich nicht mehr reingelassen.“ Sie sei nachts zu ihrer Oma gefahren, um nicht auf der Straße schlafen zu müssen. Vor rund einem Jahr zog die damals 18-Jährige aus, erst mal zur Untermiete in ein Zimmer, von dort im Mai in eine Wohngruppe der Evangelischen Gesellschaft, die die Selbstständigkeit fördern soll. Die Betreuer sind von 15 bis 23 Uhr im Haus. Sie fühlt sich da „gut aufgehoben“.

Aktuell arbeitet Anna ihre Kindheit in einer Gesprächstherapie auf. Sie hat sich stabilisiert und hat Pläne – sie will Jugend- und Heimerzieherin werden. Dafür braucht sie aber den Realschulabschluss. Da Anna älter als 18 Jahre ist, wird sie von Regelschulen nicht mehr genommen, die Berufsfachschulen sind bereits überfüllt. An der Volkshochschule kann sie in einen Kurs für den Realschulabschluss einsteigen. Das Jugendamt übernimmt aber die Kosten nicht für die schulische Weiterbildung, die Eltern könnten sie nicht finanzieren. Die Aktion Weihnachten zahlt die Kursgebühr.