Herr U. nimmt täglich Methadon – seit 1995 ist er im Substitutionsprogramm. Foto: Michael Steinert

Als Herr U. 18 Jahre alt war, starb seine Mutter. Von da an ging sein Leben bergab. Heroin hatte ihn 20 Jahre lang im Griff, seit 1995 bekommt er Methadon. Seine alten Drogenfreunde sind tot. Die Einsamkeit setzt dem heute 61-Jährigen zu.

Stuttgart - Herr U. kann sich nicht erinnern, seine Mutter je gesund erlebt zu haben. Ihr Brustkrebs überschattete seine Kindheit und Jugend. Einmal habe sie sich im Bett umgedreht, da sei ihr Schlüsselbein gebrochen. Spielzeug war Luxus. Er erinnert sich nur an ein Geschenk, das ein Cousin ihm mal gemacht hat: 1966, im Jahr des Wembley-Tores, bekam er einen Lederfußball.

Als er 15 Jahre alt war, begann Herr U. „zu malochen“, wie er sagt, in der Zeche. Wenig später nahm er das erste Mal Drogen. Noch war es Spaß – eine schöne Ablenkung vom Bergbau und von der Krankheit zu Hause. Mit 17 probierte er das erste Mal Heroin. Ein Jahr später starb seine Mutter.

„Ab da ging es mit mir bergab.“ Das Heroin übernahm die Kontrolle. Er verlor die Arbeit, bekam eine zweite Chance, verlor sie endgültig. Herr U. wurde Vater, doch die Sucht war zu stark, als dass er den Absprung geschafft hätte. Heute ist seine Tochter 38 Jahre alt. Er versucht, ihr näher zu kommen, doch sie blockt ab. Er versteht das. „Ich war ja nicht da“, sagt der heute 61-Jährige.

Die Entzugsversuche scheiterten

20 Jahre hing Herr U., unterbrochen von jeder Menge missglückter Entzugsversuche, an der Nadel – mit allen Konsequenzen. Er saß im Gefängnis, weil er in Apotheken eingebrochen war. Er hat sich mit HIV infiziert,wahrscheinlich, weil als er sich die Spritze mit anderen teilte. Sieben Jahre hat Herr U. in Frankreich auf der Straße gelebt, es war die beste Zeit seines Lebens. In Frankreich konnte man ein methadonähnliches Mittel ohne Rezept in der Apotheke kaufen. Damit kam er gut zurecht. Er war Saisonarbeiter – und musste nicht frieren, wenn er sich unter eine Brücke legte.

1994 kam Herr U. nach Stuttgart. Er hörte von anderen aus der Szene von der Notunterkunft in der Hauptstätter Straße – und lernte erstmals Sozialarbeiter kennen. 1995 begann er mit der Substitution, seit sechs Jahren schafft er es, tatsächlich nur Methadon zu nehmen. „Wenigstens die letzten Jahre, hab ich zu mir mir gesagt, willst Du versuchen, normal zu leben.“

Herr U. konnte vor elf Jahren in eine kleine Wohnung ziehen – ohne Waschmaschine. Die ersten Jahre konnte er bei Bekannten mitwaschen. Das geht nicht mehr. Herr U. hat seine alten Weggefährten fast alle überlebt. Es gibt niemanden, den er um Hilfe bitten kann. Er fühlt sich einsam. Für die Wäsche geht er in den Waschsalon, doch das kann er sich eigentlich nicht leisten. Er bezieht Grundsicherung im Alter. Geld für eine Waschmaschine hat er keins, zumal er aufgrund des sehr kleines Bads eine Maschine in Sondergröße benötigt. Zwar versucht er, jede Woche einen Euro beiseite zu legen, doch seine Reserven gingen für eine neue Lesebrille drauf. Die Aktion Weihnachten will Herrn U. helfen. Weitere Informationen zu der Spendenaktion der Stuttgarter Nachrichten finden Sie hier.