„Die Not nimmt zu“, sagt Jakob Reineke vom Medmobil der Ambulanten Hilfe. Foto: Lg/Leif Piechowski

Viele Wohnungslose schlafen auch den Winter über nicht in einer Notunterkunft, sondern draußen – teils, weil sie müssen, teils, weil sie wollen. Die Aktion Weihnachten finanziert 100 Schlafsäcke für Obdachlose.

Stuttgart - Das Leben auf der Straße macht früher alt und krank. Er sei anfangs regelrecht geschockt gewesen, wenn er die Geburtsdaten der Klienten gesehen habe, berichtet der Sozialarbeiter Jakob Reineke, der regelmäßig mit dem Medmobil der Ambulanten Hilfe unterwegs ist, dessen Team wohnungslose und arme Menschen medizinisch versorgt – zum Beispiel im Schlossgarten und unter der Paulinenbrücke. Im Schnitt seien die Menschen zehn bis 15 Jahre jünger, als er sie schätzen würde. „Armut macht krank und Krankheit macht arm, der Spruch ist wirklich wahr“, sagt der 36-Jährige. Seit fünf Jahren ist er im Medmobil-Team dabei. Dieses besteht immer aus mindestens drei Personen: einer Ärztin oder einem Arzt, einer Pflegekraft und einem Sozialarbeiter, manchmal sei auch ein Dolmetscher dabei. „Die Not wird größer“, ist ihm aufgefallen. Immer mehr Menschen, die sie versorgten, hätten keine Krankenversicherung.

Ein Schlafsack ist unerlässlich, wenn man draußen schläft

Gerade jetzt, da die Temperaturen sinken, ist Hochsaison fürs Medmobil. Die Atemwegserkrankungen nähmen deutlich zu – und bei Menschen, die auf der Straße leben, gehe eine Bronchitis auch nicht so schnell wieder weg. „Die Erkrankungen können sich lang hinziehen“, sagt Reineke. Nicht jeder der Klienten könne und nicht jeder wolle in eine Notübernachtung. Ab null Grad Kälte dürfen auch EU-Bürger, die sonst keinen Anspruch auf Hilfe haben, in einer Notunterkunft schlafen – ansonsten aber nicht. Und für Wohnungslose mit Hund gäbe es kaum Möglichkeiten, drinnen zu schlafen.

Umso wichtiger sei, dass die Menschen einen warmen Schlafsack hätten. Reineke hat erst kürzlich einem Patienten, der regelmäßig aufgrund seiner Diabetes kommt, einen neuen Schlafsack gegeben. Der Flaschensammler, ein Tscheche Mitte 40, schläft draußen, er hat kein Recht auf einen Platz in der Notübernachtung. „Ein Schlafsack ist unerlässlich“, sagt Reineke.

Die Schlafsäcke bekommen die Obdachlosen an vielen Orten in der Stadt

Er ist dankbar für die Spende der Aktion Weihnachten an die niedrigschwellige Stuttgarter Wohnungslosenhilfe, zu der auch das Medmobil gehört. Den Spendenantrag haben wir sogar schon vor dem Auftakt der diesjährigen Aktion bewilligt: 100 Schlafsäcke für Obdachlose können in diesem Winter verteilt werden; sie sollten rechtzeitig gekauft werden können. Der Antrag war von der Evangelischen Gesellschaft (Eva) stellvertretend für die niedrigschwelligen Anlaufstellen für Obdachlose gestellt worden – und trägerübergreifend läuft auch die Verteilung. Die Hilfe ist unkompliziert und direkt. Wer einen Schlafsack braucht, bekommt einen – ob in der Bahnhofsmission, in den Wärmestuben von Caritas und Eva oder im Tagestreff Femmtastisch für Frauen. Das Medmobil führt auch Notfallschlafsäcke bei sich und weist zudem den Weg zu den anderen Anlaufstellen.